Sonntag, 14. Oktober 2012

AtmosFAIR

Wie fängt man so einen Post nur an? Man will sich von Schleichwerbung distanzieren und doch gleichzeitig auf ein tolles (wenn auch kommerzielles) Projekt hinweisen. Man will unser generelles Konsum- und Reiseverhalten kritisieren und dabei nicht mit erhobenem Zeigefinger daherkommen. Man will zeigen, dass man mit seinem Geld auch gute Dinge anstellen kann und dabei nicht angeberisch wirken. Schwierig... aber immerhin der Anfang ist mir jetzt gelungen ;-)
Jedes Mal, wenn ich mich mit dem Zusammenhang von klimaschädlichen Emissionen, Klimawandel und dessen Konsequenzen beschäftige, fasse ich mir an den Kopf und frage mich, wie wir sowas nur zulassen können und uns mit unserem Konsumverhalten selbst noch daran beteiligen! Ich will mich auch gar nicht auf irgendwelche unseriösen Studien-Szenarien (von beiden Seiten!) stützen oder mit allzu konkreten und damit unglaubwürdigen Zahlen um mich werfen, sondern die Schlussfolgerungen dem gesunden Menschenverstand überlassen: Wir produzieren momentan (viel!) mehr CO2, als unsere Erde kompensieren kann, der Ausstoß nimmt exponentiell zu und wir verstärken somit den Treibhauseffekt. Gletscher und Packeisflächen sind in den letzten Jahrzehnten drastisch zurückgegangen, die Weltmeere steigen an und werden saurer, Wetterextreme wie Dürren oder Überschwemmungen nehmen zu,...
Ich könnte jetzt auch noch was über den ökologischen Fußabdruck erzählen, aber da meine Posts angeblich zu lang sind, möchte ich schnell zum Punkt kommen: Durch den Flug von Frankfurt über Brüssel nach Monrovia habe ich so viel CO2 erzeugt, wie ich im ganzen Jahr klimaneutral erzeugen dürfte. Um mein Gewissen und vor allem die Umwelt nicht ganz so stark zu belasten, habe ich diese Menge CO2 für 49€ bei Atmosfair kompensiert. Die machen damit Klimaschutzprojekte, Aufklärungsarbeit, Aufforstung und ähnliches, um CO2 einzusparen, zu vermeiden oder abzubauen.
Was will ich damit sagen? Nun, wenn Tilman einmal in zwei Jahren einen Mittelstreckenflug macht, entstehen dabei CO2-Emmissionen, deren Kompensation 49€ kostet. Wie viele Menschen fliegen aber täglich um die Welt, ohne ihre Emissionen zu kompensieren – geschweige denn, sich dafür interessieren?! Es ist so unglaublich, mit welcher Selbstverständlichkeit wir unsere Welt zerstören und unter dem Vorwand der persönlichen Freiheit zum Shoppen nach Mailand oder für einen Kurztripp in die Malediven fliegen. Ah!
Ich frage mich sowieso, weshalb es Flugverbindungen zwischen Brüssel Frankfurt gibt. Der Flug dauert zwar nur 35Minuten, aber mit Einchecken, Sicherheitskontrolle, Boarding, Warteschleife, Bus zum Terminal und Gebäck abholen kann man auch gleich den ICE nehmen, der es in knapp 3h schafft. Anstatt Glühbirnen zu verbieten, sollte man Kurzstreckenflüge verbieten, bei denen es eine mindestens halb so schnelle Alternative gibt. Und die Mitglieder des Bundesverbands der Deutschen Luftverkehrswirtschaft ( http://www.bdl.aero/de/themen-positionen/wirtschaft/luftverkehrsteuer/ ) gehören alle strafversetzt in den südamerikanischen Regenwald, um dort Bäume zu pflanzen!
Ansonsten können wir uns auch bald die 4°C Erwärmung (als realistischere Korrektur des 2°C-Ziels) abschminken.

Samstag, 13. Oktober 2012

LehrerfortBILDung

Ich lobe mich ja nur eher selten selbst und bin verdammt gute Lehrevaluationen ja auch schon gewohnt (huch, da ist es schon wieder passiert...), aber die kleine Evaluation unserer Lehrerfortbildung war wirklich sehr bestärkend: 97% der Lehrer fanden die Fortbildung "very helpful" und ein einziger fande sie nur "helpful". Die Freitextkommentare waren noch viel krasser und haben uns gezeigt, dass wir genau an der richtigen Stelle ansetzen und die Lehrer und wir hoffen, dass das nicht die letzte Fortbildung gewesen ist! Aber dazu wann anders mehr, wenn wir unseren "Action Plan" für die nächsten Monate ausgearbeitet haben. Jetzt will ich erst mal ein paar Bilder der Lehrerfortbildung für sich sprechen lassen:

Wer will Schnapspralinen?

Na, welche Bewegungsformen liegen vor?

Verpflegung

Was ist schneller am Boden: Das kleine oder das große Stück Kreide?

Die Lehrer beim Experimentieren

Eine Sekunde für 2.5 Meter?

Mein Handy war auch nicht viel genauer...

Warum ist es in Heidelberg kälter als in Monrovia?

Am Ende hatten die Lehrer noch ein Dankeschön für mich!

Gruppenfoto!

Die Lehrer der Schule, in deren Räumen wir das Training gemacht haben

Meine zwei Streber!^^

Mathelehrer und Bürgerkriegsveteran - hey, er wollte das Foto!


Die Lichter der Großstadt 2


Ich kann im Flugzeug einfach nicht schlafen! Vor allem, wenn es so spannende Dinge wie Gewitter, Leere oder die Straße von Gibraltar von oben zu sehen gibt... Und hier in Brüssel (wo ich diesen Post gegen 6Uhr morgens gerade verfasse), gibt es nur diese pennerunfreundlichen Bänke mit festen Armlehnen. Also nutze ich die Zeit und fasse meinen letzten Tage zusammen:
Die Lehrerfortbildung und vor allem der letzte Tag waren noch mal richtig toll! Donnerstag mussten wir noch ganz viel organisatorisches Zeug erledigen, Zertifikate ausstellen, Evulationsbögen erstellen und Freitag waren wir noch mal in Monrovia. Zu erst hat mir Wilfred das Nationalmuseum gezeigt und nun ja, es war auf jeden Fall einen Besuch wert! Es war zwar klein, dunkel, dreckig und die wenigen erklärenden Hinweise waren mit Tesa teilweise direkt an die Ausstellungsstücke geklebt, aber dafür waren die Exponate selbst sehr... interessant. Es gab ganz viele traditionelle Masken der liberianischen Stämme, die diese zur Identifikation benutzt haben und Tatsache: Die sahen wirklich alle individuell aus! Dann gab es aber auch so banale Dinge wie den linken Schuh irgendeines liberianischen Präsidenten und direkt daneben die Gründungsurkunde Liberias. Besonders beeindruckend fande ich eine Fotoausstellung zum Bürgerkrieg, die den ganzen Schrecken, das ganze Leid aber auch die vielen Hilfsmaßnahmen und die Solidarität in der Bevölkerung gezeigt haben.
Danach sind wir auf den Großmarkt gefahren und auf dem Weg dorthin ist mir der erfreulich unkomplizierte, um nicht gar zu sagen demokratische, Umgang mit der StVO aufgefallen: Wenn auf der 4-spurigen Hauptstraße Stau in Richtung Innenstadt ist, werden eben 3 Spuren stadteinwärts und nur eine stadtauswärts genutzt – auch ein Vorteil von fehlender Fahrbahnmarkierung. Der Markt selbst war eine Lawine von Sinneseindrücken unterschiedlichster Art. Vom Fleisch- und Fischmarkt (bei schwülen 30°C), über die Frucht- und Gewürzstände, den bunten Stoffen und kitschigen Gebrauchsgegenständen aus buntem Plastik, bis hin zu exotischen Gemüse und Süßkram, den ich ja alles probieren musste. Wilfred hat mir dann auch eingeredet, dass ich ne Koka-Nuss mit ihm essen muss und das war keine so gute Idee. Die war schrecklich bitter und ich hatte den ganzen Tag Angst, dass ich davon auf der Rückreise Durchfall bekomme – war aber nicht der Fall!
Frisch eingedeckt mit allerlei Mitbringsel, exotischem Essen und Souveniers, ging es wieder zurück zu Wilfred, wo ich mich von der großen Familie (also allen „brothers“ und „sisters“) verabschiedet habe und dann haben mich Shirley, Prince und Wilfred zum Flughafen gebracht. Auf dem Weg dorthin habe ich noch mal alle geografischen und klimatischen Highlights Liberias erleben dürfen. Beim Abschied musste ich Wilfred versprechen, dass wir uns bald wiedersehen, was mir nicht sonderlich schwer gefallen ist, denn entweder werde ich ihn bald wieder besuchen oder ihn mal nach Deutschland einladen.
Mein Eindruck vom Flughafen war vor allem kalt! Aber auch in vielen anderen offizielleren Gebäuden ist mir schon aufgefallen, dass die stark unterklimatisiert sind. Wilfred meinte, dass das für die so eine Art „First World“ Standard ist. Naja, dann sollten die sich lieber ein gebührenfreies Bildungssystem als Standard setzen und nicht den sowieso schon so spärlich vorhandenen Strom für sowas verschwenden. Ansonsten gab es im Flughafen überteuerte Souvenirs und einen kurzen Sprint durch den Starkregen zum Flugzeug.
Beim Abflug aus Ghana vor 2 Jahren habe ich – wie der geneigte Leser sicher noch weiß – über die Lichter Accras philosophiert: bunt, verschiedenfarbig, chaotisch aber doch einladend, sympathisch und wunderschön! Liberia bei Nacht von oben ist einfach nur dunkel. Hier und da erkennt man ein Feuer oder ein Motorradlicht, aber ansonsten ist es wirklich stockdunkel. Als ich dann gerade im Landeanflug auf Brüssel diese ganze hellbeleuchtete Metropolenregion gesehen habe, kam ich mir vor wie bei einer Zeitreise in eine futuristische Zukunftsstadt. So doof das klingen mag, aber diese ganzen gleichen, symmetrischen Straßenbeleuchtungen, Industrieanlagen und Innenstädte hatten echt was von Science Fiction.
Ach ja: Bei Brussels Airline sind die Durchsagen erst auf Belgisch, dann Englisch und dann Französisch und ich verstehe die französischen Durchsagen fast am besten. Das liegt entweder an meinen überragenden Französischkenntnissen oder einfach am schrecklichen belgischen Englisch... Durch dieses Spracherlebnis beflügelt wollte ich mir gerade auf Französisch nen Tee bestellen, nur entweder hatten die keinen Kräutertee, oder es gibt das Wort „the herbale“ nicht. Ich habe dann die erstbeste Alternative genommen, die mir der Typ angeboten hat und den Preis hat er mir dann auch auf Englisch genannt... Dieser Tee war zwar der teuerste (3€ für 0,2l) und schlechteste Tee, den ich jemals getrunken habe (außerdem habe ich im Nachhinein festgestellt, dass es Lipton und damit Unilever war...), aber ich habe ihn auf Französisch bestellt!
Ich sitze immer noch in Brüssel, die Sonne ist mittlerweile aufgegangen und das Boarding für den Flug nach Frankfurt beginnt gleich. Wenn ihr diesen Post lest, bin ich in Heidelberg angekommen und hole wahrscheinlich gerade Schlaf nach.

Donnerstag, 11. Oktober 2012

Wissen ist Macht und macht Ah!

Das spannendste für mich sind hier die Gespräche mit den Lehrern nach dem Workshop. Oft fragen sie noch was inhaltliches nach oder sagen mir Themen, die sie in den paar Tagen gerne noch behandeln würden. Einige erzählen mir aber auch von ihrer Unterrichtserfahrung und den Problemen des Bildungssystems. Ein paar grundlegende Probleme habe ich ja schon geschildert, aber über einen Punkt habe ich besonders lange nachgedacht: Die Science-Lehrer (also Physik, Chemie, Bio) beklagen, dass sie kaum die Mittel für Experimente haben und da sie meistens amerikanische Schulbücher benutzen sind darin auch nur relativ aufwendige Versuche beschrieben. Sie würden ja gerne die Schüler mit ein paar anschaulichen Experimenten motivieren und ihnen mehr als nur die graue Theorie präsentieren, aber ihnen fehlt leider das Material. Dabei kann man so viele Versuche schon mit ganz einfachen Mitteln machen und die Schüler somit selbst zum Experimentieren bringen. Versuche bringen aber nicht nur Anschalichkeit in die Formeln (Grau, teurer Freund, ist alle Theorie, und grün des Lebens goldner Baum) sondern beim Experimentieren versucht man die Welt um sich herum zu erfassen und zu beschreiben, zu analysieren und zu hinterfragen, zu messen und zu verstehen. Deshalb sind Versuche im Schulunterricht nicht nur wichtig, um die Stunden lebendiger und anschaulicher zu machen, sondern legen eine wichtige Grundlage, die Welt um sich herum mit eigenen Mitteln zu verstehen und zu begreifen.
Wir haben deshalb den (noch vagen) Plan entwickelt, Experimentierkästen für Entwicklungsländer zu entwerfen, die neben dem wichtigsten Material auch Anleitungen und didaktische Methoden enthalten sollen. So ähnlich wie diese Experimentierkästen von Kosmos nur eben abgestimmt auf die Lehrpläne und Bedürfnisse der Lehrer. Zur Zeit recherchiere ich noch, ob es so ein ähnliches Projekt vielleicht schon gibt, dem wir uns dann mit unseren Erfahrungen anschließen können, oder ob wir da Pädagogik-Pioniere sind. Wenn ihr, liebe Leser, Pädagogen oder Lehramtsstudenten da Ideen habt oder Projekte kennt, bin ich über jeden Hinweis dankbar.

Ansonsten laufen die Workshops wirklich super und heute waren fast 50 Lehrer da! Wir verstehen uns so langsam und es ist richtig schade, dass die Zeit schon langsam zu Ende geht – dabei gibt es denen noch so viel zu erzählen!



Der (soweit ich verstanden habe) Bischof dieser Community kam auch vorbei, nachdem er von unseren Lehrerfortbildungen gehört hat und meinte, dass er das Projekt so super findet, dass er mir das nächste Mal den Flug zahlt, wenn ich wieder kommen will. Habe das dann auch anderen Leuten erzählt und zwar mit diesem „Jaja, das sagt der bestimmt nur so“-Unterton. Darauf haben die mich total entgeistert angeguckt und gesagt, er sei ein Mann Gottes und wie ich seine Worte nur anzweifeln könnte. Ähm... ja ;-)

Dienstag, 9. Oktober 2012

Impressionen eines introvertierten Expressionisten

Ich bin ja von eher schüchterner Natur... deshalb traue ich mich auch nur ganz selten, Fotos von anderen Menschen zu machen und finde es auch meistens doof, irgendwelche gestellten Fotos von mir zu machen. Außerdem darf man die meisten offiziellen Gebäude aus Sicherheitsgründen auch gar nicht fotografieren. Nichtsdestoweniger gibt es hier eine kleine Auswahl von schönen Fotos der ersten Tage:
typische "deutsche" Gastgeschenke
Reis mit Kürbis
Mein Bett
Urlaub vom Urlaub
Für Kai: Tilman fährt Motorrad!
Die "Hauptstraße" in unserer Community
Meine Outdoor-Dusche
Da macht die EU mal was sinnvolles mit ihrem Geld!
Lehrerfortbildung - Erkennt man, was wir machen?
Sonnenuntergang in Liberia

Montag, 8. Oktober 2012

Mythenmetzsche Abschweifungen

Liebe LeserInnen,
da ich jeden Tag so viel erlebe und neue Dinge erfahre oder erkenne, die ich euch mitteilen will und ich bei einer chronologischen Erzählung die Hälfte aller Anekdoten vergesse, habe ich mir was neues überlegt. Da ich hier gerade „Das Labyrinth der Träumenden Bücher“ des zamonischen Bestsellerautors Hildegunst von Mythenmetz lese, möchte ich mich auch dessen Stilmittel bedienen – der Mythenmetzschen Abschweifungen:

A Propos Träumen... Kennt ihr das, wenn ihr mehrere Tage in einem fremdsprachigen Land seid und dann auf einmal anfangt in dieser Sprache zu denken und zu träumen? Besonders befremdlich wirkt das, wenn man sich beim Englischdenken dabei erwischt, wie man gerade nach einem Wort sucht. Mein „Traumenglisch“ hingegen ist traumhaft und das witzige ist, dass alle Dialoge im Traum auf Englisch sind – da kann dann sogar mein Papa gutes Englisch sprechen ;-)

Während mir im Flüchtlingslager in Buduburam fast die ganze Zeit „O'Bruni“ (was so viel wie „weißer Mann“ bedeutet) hinterher gerufen wurde, werde ich hier kaum auf Grund meiner Hautfarbe angesprochen. Ein paar Kinder schauen mich länger als normal an und ein paar Halbstarke bringen doch mal irgendeinen Spruch, aber ansonsten ist man meistens einfach ihr „brother“. Auf dem Weg nach Hause haben uns Freitag paar Kerle hinterher gerufen. Ich habe es nicht genau verstanden, aber es muss was mit meiner Hautfarbe zu tun gehabt haben. Auf jeden Fall hat Shirley denen dann eine flammende Rede gegen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit gehalten. Ich habe zwar nicht alles verstanden, aber es klang sehr überzeugend!

Freitag haben wir quadratische Gleichungen behandelt, da diese ständig in allen möglichen Naturwissenschaften auftauchen. Die meisten kannten auch die Mitternachtsformel, aber einige dachten, dass diese Formel auf Emperie beruht und halt einfach immer irgendwie das richtige rauskommt. Denen habe ich erst mal das Gegenteil – im warsten Sinne des Wortes – bewiesen. Die Herleitung der Mitternachtsformel füllt zwar nicht dirket ihre Mägen oder bringt Frieden, aber es hat ihnen heute doch hoffentlich kritisches Denken näher gebracht und gezeigt, dass man auch mathematische Formeln nicht einfach hinnehmen muss. Mir geht es dabei auch nicht um die formale Strenge der Herleitung, sondern um das Konzept des Hinterfragens. Ich hoffe, dass ich dabei nicht wie so ein alter, engstirniger Mathelehrer klinge, aber Samstag werden wir dann auch ganz anschaulich und in Gruppenarbeit das Verhältnis von Umfang zu Durchmesser eines Kreis erarbeiten.

Über das Essen habe ich noch nicht so viel geschrieben, aber es gibt auch nicht viel zu berichten, außer dass es total einfach und gleichzeitig super lecker ist! Wilfreds Familie kocht für mich extra vegan und es gab bisher schon Plantain, Spaghetti, Kartoffeln, Kürbis, Reis, Groundnut Souce, Kekse, Kasawa Leafs,... und dazu jede Menge Obst! Es ist wirklich toll, wie vielfältig die vegane, liberianische Küche ist :-) Sonntag will mir Wilfreds Mutter dann das typische liberianische Nationalgericht zeigen.

Krieg, warum nicht? Der liberianische Bürgerkreig hat viele Gründe und Ursachen, die teilweise auch schon mehrere hundert Jahre zurück liegen. So ganz blicke ich bei der Erklärungen auch noch nicht durch, aber Wilfreds Familie hat mir eine neue Erklärung gegeben. Auch dabei habe ich nicht alles verstanden, aber es beruhte auf einem halbgöttlichen Mädchen, das einen bösen Stammesfürsten vertrieben und dann ihre Herrschaft auf irgendeinem Berg verkündet hat, auf dem später ganz viele Menschen gestorben sind, weshalb der Berg dann ein teuflisches Sybol war und um diese Deutungshoheit ist dann der Bürgerkrieg entbrannt. Oder so. Auf jeden Fall fande ich es spannend, wie die Leute doch irgendwelche halb-abergläubischen Erklärungen für den Bürgerkrieg haben und dabei die historischen Tatsachen gerne auch mal verdrehen. Aber so ähnlich hatte ich das ja auch schon in Ghana erlebt.

Jammern auf hohem Niveau: Bei den Protesten gegen Schavans G8-Reform oder beim Bildungsstreik der letzten Jahre haben wir in Deutschland für bessere Bildung demonstriert. Mit der relativierten Sicht aus Liberia wirkt das aber ein wenig... lächerlich. Natürlich ist unser Bildungssystem ungerecht, es wird viel zu früh selektiert, die Klassen sind zu groß, der Lehrerberuf erfährt zu wenig Wertschätzung, es gibt zu wenig Kita-Plätze, das finanzielle Situation der Eltern entscheidet über Bildungserfolg und Studiengebühren gehören... abgeschafft! Aber vergleichen mit Liberia sind das alles im wahrsten Sinne des Wortes „First World Problems“. Hier haben viele Familien nicht mal ne Uhr, so dass die Schüler pünktlich sein können, die Lehrer haben keine richtige Ausbildung und sind so unterbzahlt, dass sie sich kaum genug Essen kaufen können, die Schulgebühren sind zu hoch (von den Millenium-Zielen sind wir noch weit, weit entfernt...), in den Klassenzimmern ist es so dunkel, dass man kaum die Tafel sieht und so heiß, dass man sich nicht konzentrieren kann. Heute hatten wir auch so nen typischen tropischen Regenschauer und die Tropfen prasselten so laut aufs Dach, dass man sein eigenes Wort nicht verstand... und das 30 Minuten lang!
Ich bin auch bei der nächsten Rektorratsbesetzung in Heidelberg dabei, aber wichtiger wäre es, das Verteidigungsministerium so lange zu besetzen, bis mehr Geld vom Militäretat in den Aufbau des Bildungssystems der 3. Welt fließt! Naja, immerhin haben die hier auch „giftfreie“ Kreide ;-)

Das Internet ist hier übrigens soooooooo langsam, dass ich ständig an die Maus-Folge denken muss, in der die das (...und die Sesamstraße auch gleich noch untergebracht^^) Internet mit kleinen Männchen erklärt haben, die durch die Leitungen laufen und Datenpakete abliefern. Hier ist man wirklich froh um jedes Byte, das auf dem Computer angekommt und manchaml sitzt man 30 Minutem vorm Laptop und es tut sich gar nichts! Also nicht wundern, wenn ich mal nicht gleich auf Mails antworte oder länger brauche für den nächsten Post.

Sonntag haben wir eine Ganztagestour durch Monrovia und die ganze Gegend gemacht. Ich könnte eigentlich den ganzen Tag hinten auf nem Motorrad sitzen und mir die Gegend hier angucken! Wir waren bei der Universität, am Hafen, am Strand, in der Innenstadt, beim Parlament,... Irgendwann habe ich dann festgestellt, dass mein Handy nicht mehr in der Hosentasche ist. Vielleicht hatte ich es ja nur verloren und ein erhlicher Finder wird es uns zurück geben. Also hat Wilfred versucht, jemanden zu erreichen und nach ein paar Versuchen ist sogar wirklich jemand ran gegangen. Wir haben dann einen Treffpunkt und Finderlohn mit denen ausgemacht und sie kamen dann auch und hatten mein Handy dabei. Wir waren uns aber nicht ganz sicher, ob sie das Handy wirklich gefunden haben, oder es mir aus der Hosentasche geklaut haben, zumal sie auch ständig einen höheren Finderlohn gefordert haben. Wir hatten dann auch keine Lust auf weitere Diskussionen oder Stress mit der Polizei und haben denen dann einfach $20 gegeben. Entweder waren es wirklich ehrliche Finder oder ziemlich blöde Diebe!

Den (verhinderten) Naziaufmarsch in Heidelberg habe ich übrigens zum Anlass genommen, ein kleines Gedicht zu verfassen:
In diesem Gedicht artikuliere ich meine Wut,
denn Nazis
find ich nicht so gut!


PS: Falls euch meine Tagesangaben wie heute, morgen oder am Sanktnimmerleinstag irritieren oder sich gar widersprechen, könnte das daran liegen, dass ich die Posts teilweise über mehrere Tage schreibe und online stelle, wenn ich das nächste Mal im Internet bin. Seit vorgestern versuche ich deshalb auch absolute und keine relativen Tagesangaben zu verwenden ;-)

Freitag, 5. Oktober 2012

Zwei mal drei macht vier widdewiddewitt und 3 macht neune!


Der zweite Workshoptag lief schon viel besser: Während der Schwierigkeitsgrad am ersten Tag zu hoch war, weil ich eine andere Zielgruppe erwartet habe, habe ich heute bei linearen Gleichungen angefangen und alle kamen mit :-) Heute waren sogar über 40 Lehrer da und wir müssen gucken, ob wir Morgen einen größeren Raum nehmen...
Eine Sache habe ich aber schon festgestellt: So lange man die Gleichungen nach dem selben Schema lösen kann, verstehen es die meisten. Wenn man das aber abstrahieren will, denen ein kleines Gegenbeispiel zeigt oder einen Widerspruchsbeweis führen will, versteht das fast keiner mehr. Es gibt dieses eine Beispiel, bei dem man mit a=b startet und durch vermeintliche Äquivalenzumformungen bei 2=1 landet, wobei man an einer Stelle durch (a-b) geteilt hat... Es lag wohl auch nicht an meinem Englisch (ich bekam unerwartet viel Lob...), sondern wie mir danach ein Lehrer sagte, wird solch eine Abstraktion hier in der Schule gar nicht verlangt. Jetzt mag sich der ein oder andere von euch denken 'Was quält der Tilman die auch mit Widerspruchsbeweisen?', aber ich denke, dass Mathe nicht Anwenden von Formeln ist, sondern ein abstraktes Gedankenkonstrukt, das gewissen formalen Regeln folgt, die verstanden und für die jeweilige Anwendung ausgenutzt werden wollen. Natürlich darf und sollte man die Anwendung nie aus den Augen verlieren, aber Mathe ist eben mehr als das Auswendiglernen der binomischen Formeln. Ich gebe denen auch immer anschauliche Beispiele, die die zusammen mit ihren Kindern selber nachrechnen können. Heute wollen wir dann auch mit Geomatrie anfangen und in Gruppenarbeit den Wert von Pi bestimmen, denn Gruppenarbeit sind die auch alle nicht gewohnt und nutzen es somit im Unterricht überhaupt nicht.
Das schönste Erlebnis war eine ältere Lehrerin, die nach dem Workshop zu mir kam und meinte, dass sie Mathe nie verstanden hat und auch noch nie mochte, aber ich heute ihr Interesse wecken konnte und sie sich schon auf Morgen freut. Vielleicht wollte sie ja auch nur irgendwas nettes sagen, aber für solche kleinen Momente mache ich das ganze hier!

Ansonsten gibt es natürlich wieder jede Menge zu erzählen und weil der Strom in Liberia und die Geduld meiner Leser nicht für lange Posts reicht, hier das wichtigste in Krüze: Demo für bessere Bildung vor der Uni, 'The police is your friend'- und 'Ballots not bullets'- Schilder, wunderschöne, riesengroße Schmetterlinge, Groundnut-Souce, Schulkinder die am Workshop teilnehmen wollen, Familienfotos, philosophische Taxifahrer (in Deutschland gibt es eher taxifahrende Philosophen^^), riesige Papaya, angeschlagenes Knie beim Versuch vom Motorrad abzusteigen,...

Donnerstag, 4. Oktober 2012

Viva Con Agua... nicht!


Durch meinen Aufenthalt in Ghana bin ich wohl wirklich verwöhnt und habe hier in den letzten Tagen erfahren, was es bedeutet in einem der ärmsten Länder der Welt zu wohnen. In Ghana hatte ich Strom, einen Kühlschrank, ein Internetcafe vor der Tür und das abgepackte Wasser konnte man problemlos trinken. Auf einen Kühlschrank kann man gut verzichten, zum Internetcafe muss man halt ein paar Minuten fahren und meine Vorbereitungen kann ich auch wunderbar bei Kerzenschein machen:
mein 'Arbeitsplatz'

Aber die Qualität des Trinkwassers ist ein wirkliches Problem... während die Wasserqualität in Ghana regelmäßig durch öffentliche Institutionen geprüft wird, sind die entsprechenden Gesundheitsbehörden in Liberia mit anderen Sachen beschäftigt. So kommt es, dass auch im abgepackten Wasser Keime und Bakterien sein können. Es gibt nur ein paar Wassersorten, die ihre Qualität unabhängig prüfen lassen und da zahlt man für eine 1,5l Flasche schon mal über $2.50! Bei Aldi kostet das Wasser nur ein Zehntel dessen und dabei ist unser durchschnittlicher Verdienst auch viel höher! Deshalb können sich die meisten Menschen natürlich auch kein geprüftes bzw. keimfreies Wasser kaufen und werden ständig krank. Wilfreds Bruder meint, dass mehr Wettbewerb auf dem Wassermarkt helfen würde und so ungerne ich für mehr Wettbewerb argumentiere, muss ich ihm wohl hier zustimmen, so lange die Regierung ihrer kontrollierenden Aufgabe nicht nachkommen kann.
Bei der Versorgung mit fließendem Wasser sieht es noch viel schlimmer aus, da es nur ein staatliches Unternehmen gibt, das dieses Vorhaben vorantreibt. Wilfreds Familie hat Glück, dass sie hier einen Brunnen mit Pumpe haben, der wenigstens die Versorgung mit Wasser zum Kochen, Waschen und Putzen sicherstellt.
Ich musste auch immer wieder an eine Stunde in der Grundschule denken, in der wir über den globalen Wasserverbrauche geredet haben. Ein Deutscher hat gut 100l am Tag verbraucht, eine Ami über 600l und die Leute in den Entwicklungsländern keine 10l am Tag. Ich habe mich schon damals gefragt, ob das die Menge Wasser ist, die die Leute verbrauchen, oder die Menge Wasser, die die Leute zur Verfügung haben. Damals hatte ich leider nicht nachgefragt, aber ich sehe hier selbst, dass das eng zusammen hängt: Wenn man nicht viel sauberes Wasser zur Verfügung hat, lernt man auch mit diesen Mengen auszukommen. Man kann bequem mit 3l Wasser duschen oder mit 5l seine Klamotten waschen und auf das Putzen von Autos kann man sowieso gut verzichten. Natürlich ist da noch nicht der sekundäre Wasserverbauch für Industrie und Landwirtschaft enthalten und an sauberem Trinkwasser mangelt es hier sowieso, aber es tut gut zu sehen, dass der Überfluss in unserer westlichen Industriegesellschaft nicht nötig ist und man auch mit weniger Ressourcen glücklich leben kann.

Dienstag haben wir vor allem versucht, einen Geldautomat zu finden und die Workshops geplant und vorbereitet. Mittwochmorgen waren wir im Internetcafe, aber die Verbindung war soooo langsam, dass ich in 30Minuten eine Mail verschicken und 3 von 22 Mails empfangen konnte – entsprechend auch kein neuer Post. Danach sind Shirly (Wilfreds Schwester) und ich an den Strand gefahren und es war wunderschön! Eine außführliche Beschreibung gibt es dann wann anders.
am Strand

Danach sind wir nach Hause, haben uns kurz ausgeruht und um 2:30 gab es den ersten Workshop. Auch hier wird es die nächsten Tage eine ausführliche Beschreibung geben, aber es waren über 30 hochmotivierte Lehrer da. Das einzige Problem; Ich war auf Mathe- und Physiklehrer eingestellt (für die hatten wir den Workshop auch angekündigt) und vor mir saßen Lehrer aller Fachrichtungen und Bildungsgrade und für alle Schulformen. Als Einstieg hatte ich ein Quiz bzw. mehrere Denksportaufgaben vorbereitet (wer schon mal bei mir ne Vorlesung oder Übung hatte, wird sich vielleicht erinnern...), an denen man super sieht, dass Mathe Teamsport ist, dass manche Aufgaben viel leichter sind, als man auf den ersten Blick denkt, dass das Lösen von mathematischen Problemen ein ganz natürlicher Vorgang ist und dass man manchmal unkonventionelle Wege gehen muss. Leider waren aber nur die wenigsten Lehrer in der Lage, diese Probleme zu lösen und wir mussten sie gemeinsam besprechen. Wir hatten dabei trotzdem viel Spaß und vor allem hat es mir gezeigt, wo sie noch Lücken haben: Überall! Der Rektor der einen Schule (Mathelehrer) wollte mir erklären, dass Diagonalen im Rechteck immer einen 45°-Winkel mit den Seiten einschließen, aber ich konnte ihn davon überzeugen, dass das nur für den Spezialfall des Quadrats gilt.
Heute werden wir deshalb mit ganz grundlegender Mathematik anfangen und uns dann zu Geometrie und trigonometrischen Funktionen vorarbeiten.

Montag, 1. Oktober 2012

Mein rechter, rechter Platz ist leer...

Die Iries waren ein absolut würdiger Abschluss meines Heidelberger Sommers und nach 3h Schlaf bin ich mit Julia (sie musste sowieso nach Offenbach) nach Frankfurt gefahren.Trotz verstauchtem(?) Fuß hat sie mich auch noch bis kurz vor die Sicherheitskontrolle gebracht (Dankeschön!) und ich war komplett auf mich alleine gestellt...
Leider hatte ich keinen Beutel dabei, den ich aufs Band hätte legen müssen, aber die Frau am Schalter hat mich trotzdem schon mal auf meine Reise eingestimmt: „ROB – wofür steht denn die Abkürzung?“ Scheinbar fliegen von Frankfurt nicht so viele Leute zum ROBertsville International Airport in Liberia...
Der Flug nach Brüssel war super kurz (35Min) und ich frage mich, wer solch eine Distanz überhaupt fliegt, wenn man nicht durch seine blöde Umsteige-Verbindung dazu gezwungen wird... Von oben habe ich übrigens den Hambacher Braunkohle Tagebau gesehen, gegen dessen Ausbau wir Anfang August beim Klimacamp demonstriert haben. Da mit dem heutigen Tag die Brut- und Nistzeit beendet ist, dürfte RWE jetzt auch mit der Rodung beginnen. Wenn ihr euch darüber auf dem Laufenden halten oder die Waldbesetzer unterstützen wollt, dann checkt doch mal deren Seite: http://hambacherforst.blogsport.de/
In Brüssel ging es dann weiter Richtung Monrovia und ich hatte das riesen Glück, welches meinem Post auch den Namen gegeben hat: Der scheinbar einzige freie Platz im ganzen Flugzeug war neben mir! Also konnte ich liegend wenigstens bisschen Schalf nachholen, wenn ich nicht gerade leckeres veganes Essen (war wirklich gut... Fotos folgen) essen oder die Sahara von oben bestaunen durfte: Der Anblick ist wirklich jedes Mal majestätisch... die Dünen, die Weite, die Leere und doch so ein wunderschönes Stück Natur mit einzelnen Dörfen und Oasen. Lieber Kai, falls dein Studium auch damit zu tun haben sollte, in der Sahara Erde zu... untersuchen, nehme ich alle Vorurteile wieder zurück :-)
Der 7h Flug ist auf 3 Minuten genau pünktlich gelandet und Wilfred hat mich vom Flughafen abgeholt. Nach 2 Jahren Mailkontakt war es wirklich ein schönes Wiedersehen! Die allerherzlichste Begrüßung gab es aber mit Wilfreds Mutter: Wir haben uns zwar noch nie gesehen, aber schon so viel voneinander gehört und es war wirklich schön, diese stolze Frau mal live zu sehen und zu drücken! Gestern war es schon spät, es gab dann noch Plantain Chips (eines meiner Lieblingsessen aus Ghana, Steffi kennt die doch auch?!) und ab ins Bett.
Am heutigen Tag habe ich schon so viel erlebt, dass es gar nicht alles in einen Post passt, deshalb die Kurzform: Frühstück, Duschen, Treffen mit Lehrern, Fahrt nach Monrovia, „Stoppt Tierversuche – nehmt Audi-Fahrer“ Aufkleber, Suche nach Bankautomat (wenn jemand von euch rausfindet, wo es in Monrovia eine ATM gibt, die Master/Maestro Karten akzeptiert, wäre ich für die Info sehr dankbar. Hatte das schon mal irgendwo gelesen, aber habs mir nicht gemerkt...), Fahrt mit Motorrad, Registration SIM-Karte, Aufregen über penetrante Nestle Werbung für Babynahrung, Fahrt mit Motorrad vorbei an Deutscher Botschaft, Suche nach Internetcafe (Strom und Internet sind hier nicht selbstverständlich, weshalb die ersten beiden Cafes auch entweder keinen Strom oder kein Internet hatten),... Gleich gibt’s erst mal Mittagessen und dann müssen wir noch Material für die Workshops besorgen und heute Abend werden wir die Lehrpläne angucken und daraus eine Planung für die Workshops erstellen. Mit denen geht es dann übrigens Mittwochnachmittag los und die Lehrer waren alle schon sehr aufgeschlossen und dankbar für unsere Unterstützung.
Alles in allem geht es mir also richtig gut, ich fühle mich in Liberia schon wie zu Hause (auch dank der Gastfreundschaft Wilfreds Familie) und ich freue mich auf die kommenden Tage!
Wie oben erwähnt, ist das hier mit dem Internet eher ein Glückstreffer und ich weiß nicht, wie regelmäßig ich mich melden kann – ich gebe aber mein bestes :-)

Warum sind die noch nicht Mitglied in unserem Bankwechsel-Bündnis?!

Samstag, 29. September 2012

...unsere Antwort steht fest: Globaler Protest!

Die Vorlesungsfreiezeit ging mal wieder viel zu schnell rum und ich fühle mich noch gar nicht so, als ob ich Morgen um die Zeit im Flugzeug nach Monrovia sitze. Die Reise nach Ghana täuschte mir Routine bei der Vorbereitung von Afrikatrips vor und so kam es, dass ich gestern noch ohne Moskitonetz und Stromadapter da stand, weil ich mich einfach nicht eher drum gekümmert habe. Aber zum Glück habe ich meine Lieblings-WG und die wiederrum ein Moskitonetz. Und Wikipedia hat mir verraten, dass ich für die 220V Steckdosen in Liberia gar keinen Adapter brauche... puh!

Wilfred holt mich dann am Flughafen ab und er hat mir schon gesagt, dass ich unbedingt eine Regenjacke einpacken soll, weil die Regenzeit doch noch anhält. Aber nach meinem Bodenseetrip mit Chris lässt mich so bisschen Regen doch eher kalt – bzw. trocken.
Habe gestern auch noch Geschenke für Wilfred geholt und da kommt der Vorteil einer Touri-Stadt zum Tragen, denn den Heidelberg Kalender 2013 gab es sogar in der Bahnhofsbuchhandlung. Dann wollte ich Wilfred noch ein gutes, deutsches Vollkornbrot mitbringen und stand vor dem moralischen Dilemma, ob man containertes Brot verschenken darf. Nach kurzem Überlegen bin ich aber zu der Entscheidung gelangt, dass es kaum ein bezeichnenderes Produkt unserer Konsumgesellschaft gibt und containertes Brot somit ein typisch deutsches Mitbringsel ist. Ich stelle mir auch gerade vor, wie die ganzen Japaner in Heidelberg keine Kuckucksuhren und Messersets mehr kaufen, sondern weggeworfene Brote als typisch deutsche Andenken mitnehmen.

An dieser Stelle noch ein Dankeschön an Judith, Moritz, Cosima und Mikko, die Geld für unsere Lehrerfortbildungen gespendet haben und an das SKATING-Team der Hochschule Karlsruhe, die mir auch noch Qualitätslineale für die Lehrer mitgegeben haben. Danke!
Oder um es mit den Iries zu sagen: „Merci, Merci! Je dit merci a ma famille, je dit merci a mes amis!“ Welch gelungene Überleitung...

Heute Abend spielen die großartigen Irie Revoltes für umme in Heidelberg auf dem Uniplatz! Da werde ich mit vielen tollen Menschen den Abschluss deren Mouvement Mondial Tour nochmal richtig feiern und meine eigene kleine, zweiwöchige Mouvement Mondial Tour einleiten: https://www.youtube.com/watch?v=Fm3RO8-kf58

Die nächste Blog-Eule gibts dann aus Liberia, sobald ich da die Eulerei im Schlossturm gefunden habe.

Mittwoch, 26. September 2012

Heulst du noch oder hilfst du schon?

So langsam wirds ernst: Die Anmeldungen für unsere Lehrerfortbildungen werden immer mehr, meine Packliste wird immer länger (von leer zu Socken, Unterhosen und Sonnenschutz), die Themen für die Fortbildungen werden immer konkreter und Wilfred probiert auch schon vegane Alternativen der liberischen Nationalgerichte.

Damit wird es auch langsam mal Zeit, nicht nur über Weltpolitik, Gutmenschen und den bösen Kapitalismus zu philosophieren, sondern auch mal bisschen was über die Pläne für Liberia zu erzählen. Ich muss Sonntagmorgen schrecklich früh aufstehen und fliege dann von Frankfurt über Brüssel nach Monrovia. Montag und Dienstag müssen wir noch die ganze Bürokratie erledigen, Raummieten bezahlen, mir ne Simkarte besorgen, Material für die Fortbildungen kaufen und die Satzung für Wilfreds „Helping Hands Network" überarbeiten. Mittwoch treffen wir uns dann mit den Rektoren der High Schools, um mit denen die Inhalte zu diskutieren und entsprechend anzupassen. Ab Donnerstag geht es dann endlich los: Während der Woche werden wir nur nachmittags unterrichten können und am Wochenende nutzen wir auch den Vormittag. Ich will noch nicht zu viel über Struktur und Inhalte verraten, denn zum einen gäbe es ja dann nichts mehr zu erzählen und vielleicht ließt ja auch schon ein Lehrer mit, dem ich dann die Überraschung nehmen würde.

Ansonsten möchte ich noch eine revolutionäre These aufstellen: Menschen in Lehrberufen sollten weniger Gehalt bekommen! Man sollte nicht des Geldes wegen als Lehrer oder Dozent arbeiten, sondern weil es einem Spaß macht, weil man gerne Wissen vermittelt und weil es Lohn genug ist zu sehen, wie deine Schüler oder Studenten das erworbene Wissen selbst nutzen können.
Gerade in den letzten Tagen hatte ich mit so vielen Menschen zu tun, die diesen letzten Satz wohl nicht nachvollziehen können und darunter leidet die Lehre, wenn ein Lehrer nicht der Lehre wegen lehrt. Wie war das noch gleich mit der entfremdeten Arbeit bei Marx: „Die Arbeitstätigkeit befriedigt keine Bedürfnisse des Arbeiters, sie dient nur als Mittel, um Bedürfnisse außer ihr zu befriedigen...“ Man erklärt seinen Informatikstudenten den Heron-Algorithmus also nicht, weil man dies für sinnvoll hält, sondern weil man das neue IPhone braucht.
Ich bin mir zwar nicht sicher, ob es nach Umsetzung meines Vorschlags noch genug Menschen gibt, die dann in Lehrberufen arbeiten wollen, aber das Problem gehen wir als nächstes an ;-)

Mittwoch, 12. September 2012

Agree TO BIP OR NOT TO BIP?

Was passiert, wenn ein globalisierungskritischer Astrophysiker sich mit Wirtschftstheorie beschäftigt? Er entwickelt sein eigenes Schichtugsmodel für Gesellschaften und nachhaltige Wirtschaftsentwicklung. Aber dazu noch ein paar Vorbemerkungen...
Ich hatte ja schon irgendwo erwähnt, dass Liberia das zweitärmste Land der Welt ist. Aber was bedeutet das überhaupt, wie misst man so was und welches Land ist denn noch ärmer?
Nun, das ärmste Land der Welt ist Kongo und der hier zugrunde liegende Indikator ist das kaufkraftbereinigte Bruttoinlandsprodukt (BIP) pro Kopf. In meiner VWL-Vorlesung habe ich gelernt, dass das BIP der Marktwert aller für den Endverbrauch bestimmten Waren und Dienstleistungen, die in einem Land in einem bestimmten Zeitabschnitt hergestellt werden, ist. Es beschreibt also so etwas wie die Produktivität einer Volkswirtschaft. Die Kaufkraftbereinigung ist deshalb sinnvoll, da man sich in Liberia für $10 sehr viel mehr Big Macs kaufen kann, als man dies z.B. in den USA fürs gleiche Geld könnte. Man erstellt also einen Verbraucherpreisindex, der beschreibt, wie teuer die Lebenshaltungskosten in einem Land sind und normiert damit das BIP, damit die Werte international vergleichbarer werden.
Das kaufkrafbereinigte BIP pro Kopf ist somit aus volkswirtschaftlicher Sicht ein guter Indikator für die Produktivität eines Landes. Die ersten offensichtlichen Kritikpunkte an diesem Maß gestehen sich sogar Volkswirte selbst ein: Dieser Index missachtet unbezahlte Tätigkeiten wie Hausarbeit, Kindererziehung und Ehrenämter völlig. Außerdem entgehen ihm Schwarzarbeit und direkt getauschte oder verschenkte Waren wie z.B. bei der solidarischen Landwirtschaft oder in Umsonstläden. Aber es gibt noch weitere Kritikpunkte, denen man sich bewusst werden sollte, bevor man mit seiner Wirtschafts- und Finanzpolitik blind das BIP steigern will: Jeder Autounfall steigert das BIP, denn es muss ein neues Auto hergestellt werden, die Versicherung hat mehr zu tun und auch die Pharmaindustrie freut sich über höheren Absatz. Umweltverschmutzung und Drogenkonsum steigern das BIP, da auch hier die Umsätze im Gesundheitssystem angekurbelt werden...
Oft wird das BIP auch als Wohlstandsindikator eines Landes herangezogen: Eine wirtschaftlich starke Nation hat doch alles! Aber ganz so einfach ist es natürlich nicht. Man kann dem BIP eine gewisse Korrelation zu Wohlstandindikatoren nicht absprechen, aber in das BIP gehen keine Zahlen über die Bildung oder den Gesundheitszustand einer Gesellschaft ein. Das BIP berücksichtigt nicht Unterernährung, Umweltverschmutzung oder soziale Sicherheit. Kennedys Bruder hat dazu einmal gesagt: „Das BIP misst alles, außer dem, was das Leben lebenswert macht.“
Deshalb gibt es viele andere Indizes und Indikatoren, die auch soziale und ökologische Aspekte in die Wohlstandsdefinition aufnehmen. Der bekannteste davon ist wohl der Human Development Index (HDI), der sich aus Lebenserwartung (beinhaltet Gesundheit, Hygiene, Ernährung), Bildung und Wirtschaftsleistung zusammensetzt.
Richtig spannend (und gleichzeitig erschreckend) sind dazu die interaktiven Karten auf dieser Seite http://www.indexmundi.com/map/ und die „Verzerrte Welt“ Karten von http://www.monde-diplomatique.de/karten/ oder http://www.worldmapper.org/

Halten wir also einmal fest: Das BIP (kaufkraftbereinigt und pro Kopf) beschreibt die Produktivität einer Wirtschaft. Der HDI soll im Folgenden ein Stellvertreter für einen besseren Wohlstandsindikator sein (obwohl hier z.B. auch Umweltverschmutzung und soziale Sicherheit nicht direkt berücksichtigt werden).
Nun heißt es ja immer, dass die Schere zwischen Arm und Reich immer weiter auseinander geht und es für die unteren Schichten immer schwerer wird, zu einem gewissen Wohlstand zu gelangen. So weit sind dies auch statistisch belegbare Fakten, aber die Frage besteht nun darin, wie man diese Spaltung der Welt in arm und reich verhindern kann. Mit dem konkreten Vorgehen dabei beschäftigt sich der vorherige Post, aber ich habe mir eine Analysemethode überlegt, die angibt, ob die Entwicklung eines Landes denn in die richtige Richtung geht.

Dieser Vergleich kam mir in der Vorlesung zur stellaren Astrophysik beim Kapitel über Stabilität von Sternhüllen bzw. über das Konvektionskritierium. Dabei ist die Frage, wann eine Schichtung des Plasmas im Sterninnern stabil ist und ab welcher Bedingung an die Dichtegradienten es zu einer Durchmischung kommt. Dieses Bild der übereinander liegenden Schichten, die entweder stabil sind und kleine Störungen dieser Stabilität sofort unterdrücken oder labil übereinander liegen und eine Durchmischung von unten nach oben möglich machen, hat mich auf diese Analysemethode gebracht:
Unsere Gesellschaft kann man sich einfach gesprochen auch als geschichtet vorstellen. Unten die Armen, oben die Reichen oder eben nach aufsteigendem Wohlstand von unten nach oben. Erstrebenswert wäre eine Durchmischung dieser Schichten, so dass alle Menschen ähnliche ökonomische, ökologische und soziale Lebensbedingungen haben. Wie sieht nun aber dieses Stabilitätskriterium für unsere Gesellschaft aus? Im Sterninnern stellt man sich die Frage, wie sich die Dichte einer Blasmaplase beim Aufstieg relativ zum umgebendem Medium verändern würde. Bei meiner Analyse ist die Größe nach der abgeleitet wird also schon mal nicht die radiale Koordinate, sondern die Zeit und die zu vergleichenden Größen sind nicht die Dichte der Plasmablase und des umgebenden Mediums, sondern das BIP und der HDI.
Die Grundlegende Frage ist, ob die Bevölkerung etwas vom Wirtschaftswachstum ihres Landes abbekommt oder ob die Bevölkerung nur für die wirtschaftliche Produktivität ihres Landes herhalten muss, ohne dass ihr eigener Wohlstand steigt. Wenn die Bevölkerung etwas vom wirtschaftlichen Aufschwung ihres Landes abbekommt, hieße das, dass der HDI schneller steigen müsste als das BIP. Anderenfalls würden die Menschen der Wirtschaft dienen und dafür sorgen, dass es der Wirtschaft und nicht ihnen selbst gut geht. Aber eigentlich sollte die Wirtschaft dem Menschen dienen und deshalb lautet meine Formeln für eine nachhaltige Wirtschaftsentwicklung, die der Bevölkerung langfristigen Wohlstand ermöglicht:
[(d HDI)/dt]/HDI > [(d BIP)/dt]/BIP
oder in Worten: Das relative Wachstum des HDI muss schneller sein als das relative Wachstum des BIP.

Naja und ihr könnt es euch denken, aber meine erste Analyse ist erschreckend! Es gibt kein einziges Land, in dem dieses Kriterium erfüllt ist. Beispielhaft habe ich das mal für ein paar Länder ausgerechnet, wobei alle Änderungsraten positiv sind und ich die Werte für 2010 und 2011 genommen habe:


Relative Änderung HDI
Relative Änderung BIP
USA
0.22%
3.91%
Deutschland
0.22%
5.26%
Schweden
0.33%
6.21%
Estland
0.36%
9.93%
Sri Lanka
0.72%
10.51%
Ghana
1.48%
16.03%
Haiti
1.10%
7.84%
Simbabwe
3.19%
11.66%
Liberia
1.22%
8.66%

In diesen Ländern wächst also die Wirtschaft, ohne dass es der Bevölkerung in gleichem Maße besser geht. Jetzt mag sich manch Kritiker meiner Theorie vielleicht denken, dass es für Länder mit hohem Wohlstand schwierig ist, den Lebensstandard noch weiter zu erhöhen. Aber dann frage ich mich, warum die Wirtschaft dann noch so krass wachsen muss, wenn da doch offensichtlich niemand was davon hat?!

Das war nur ein kleiner Ausflug in die Welt der Volkswirtschaft, der neoliberalen Dogmen vom Wirtschaftswachstum und der stellaren Astrophysik. Mein Analysekriterium ist wissenschaftlich vielleicht noch nicht ganz ausgereift (und bestimmt hatte vor mir auch schon mal jemand diese Idee), aber es zeigt doch sehr deutlich, in welche Richtung sich unsere Wirtschaft entwickelt.


Natürlich möchte ich noch anmerken, dass ich mich hier nicht für Wirtschaftswachstum in irgendeiner Form ausspreche. Wir müssen langfristig natürlich zu einer Wirtschaftsform gelangen, die zu ihrem Selbsterhalt nicht immer mehr Wachstum braucht. Aber das ist eine andere Geschichte...

Samstag, 25. August 2012

Bildet euch, bildet andere, bildet Banden!


Warum gehe ich nach Liberia und organisiere da Fortbildungen für Mathe- und Physiklehrer? Warum grabe ich da keine Brunnen? Warum kaufe ich denen kein Essen? Warum nehme ich nicht ein paar afrikanische Flüchtlinge bei mir in Dossenheim auf? Warum engagiere ich mich nicht mehr gegen Waffenhandel? Warum spende ich mein Geld nicht einer Initiative zur Aufforstung des Regendwalds?

Während viele andere Hilfsmaßnahmen vor allem die Symptome und Auswirkungen von globaler Ungerechtigkeit bekämpfen, setzt Bildung bei den Ursachen an und hilft den Menschen, selbstbestimmt ihre Probleme zu lösen bzw. sich gegen die Unterdrückungsstrukturen einer neoliberalen Globalisierung wehren zu können. Aber der Reihe nach...

Wir alle sehen täglich, dass wir in einer Welt sozialer Ungleichheit leben und die meisten von uns wollen auch etwas dagegen unternehmen. Da steht man nun vor der Entscheidung, welches der vielen Probleme man zuerst bekämpfen soll... Welthunger? Rechtsextremismus? Atomkraft? Kapitalismus? Autos? Krieg? Studiengebühren? Klimawandel? Gentrifizierung? Massentierhaltung? Lobbyismus? Homophobie? Waldsterben? Oder doch die Asylpolitik der CDU?
Die meisten Menschen engagieren sich dann auch auf ihre eigene Art gegen diese Probleme, aber dabei entstehen wieder zwei neue Konflikte:
Zum einen fragt man sich natürlich, welches davon das „dringendste“ Problem unserer Gesellschaft ist und wie soll man dringend überhaupt definieren? Täglich sterben 36000 Kinder an Unterernährung, während Nazis in Deutschland täglich nur 0,02 Menschen totprügeln. Also ist Antifaschismus nicht wichtig? Oder die Langzeitfolgen als Maß der Dringlichkeit: Studiengebühren führen zu einer Zweiklassengesellschaft in der Prof. Dr. Tilman Hartwig genug Idioten findet, die für 2,50€ Stundenlohn sein Fahrrad putzen, während der Klimawandel dazu führen wird, dass Menschen ihrer Lebensgrundlage beraubt und zu Klimaflüchtlingen werden, immer mehr Tierarten aussterben, der Meeresspiegel ansteigt,... Also lieber Greenpeace statt Bildungsstreik?
Das zweite Problem ist, dass Gutmenschen die Bestrebungen anderer Gutmenschen oft schlecht reden und relativieren: „Das ist ja schon gut, aber die Bekämpfung des Bürgerkriegs in Syrien wäre wichtiger!“ Das habe ich wirklich schon so oft mitbekommen und ich muss ehrlich sein, dass ich mich auch selbst oft dabei erwische. Wenn man einen Tierrechts-Infostand macht, bekommt man gesagt, dass man sich doch erst mal um die Menschen kümmern soll, denen es auch schlecht geht. Wenn man eine Vortragsreihe zu Postwachstum veranstaltet, hört man, dass Rechtsextremismus das viel dringendere Problem sei und auf der Antinazidemo bekommt man vorgehalten, dass Speziesismus das grundlegendere Problem sei... merkt ihr was?
All diese Bestrebungen sind richtig und ein wichtiger Beitrag zu einer gerechteren Welt. Niemand muss sich dafür rechtfertigen, wenn er sich heute gerade mal nicht um die ganz großen Probleme der Welt kümmert und wie schon gesagt, was sind überhaupt die ganz großen Probleme?

Wenn man schon keine Priorisierung (die Rechtschreibkorrektur sagt „Proletarisierung“) der Weltprobleme aufstellen kann, dann kann man aber doch mal überlegen, ob es gemeinsame Ursachen für diese verschiedenen Formen der Ungerechtigkeit und Unterdrückung gibt. Ich erinnere mich da an lange Abende mit Matteo, viele Gespräche mit Chris oder ausführliche Diskussionen im Polizeigewahrsam. Der gemeinsame Nenner als Erklärung für die meisten Probleme war immer ein Mangel an Bildung!
Nicht, dass die Menschen dumm sein, sondern es ist viel eher ein Mangel an Information, fehlende Selbstreflektion, das Misskennen historischer Tatsachen oder mangelndes Wissen um sich selbst zu helfen. Bildung ist für mich auch nicht das Auswendiglernen von Daten und Fakten sondern eher Hilfe zur Selbsthilfe.
Ich gebe zu, dass ich ein sehr optimistisches Menschenbild zu Grunde lege, denn Bildung führt bei einzelnen Menschen nicht unbedingt zu ethischem Handeln. Ich bin mir aber sicher, dass eine selbstreflektierte, aufgeklärte Gesellschaft anders mit den Problemen umgehen würde und emanzipatorische Lösungen finden kann.

Das Ideal der Bildung sollte es sein, Menschen zu kritischem Denken und selbstreflektiertem Handeln zu erziehen, aber wie schafft man das? Ich kann ja niemandem kritisch vordenken und hoffen, dass er mir nachdenkt. Und spätestens in dem Moment, wo ich als Lehrer kurz vor dem Erfolg stehe, wird mein Schüler vielleicht nicht mehr auf mich hören, meine Autorität anzweifeln und aus Protest wieder unkritisch denken...

Man kann die Maxime der Bildung also nicht direkt erreichen, sondern muss über den Umweg der Allgemeinbildung, das Stärken der musischen Fähigkeiten, die Förderung der Kreativität und die Schulung des logischen Denkens sich dem Humboldtschen Bildungsideal nähern:
Damit man akzeptiert, dass die Erde keine Scheibe ist, sollte man mal in einen Atlas geguckt haben. Damit man erkennen kann, dass unbegrenztes Wirtschaftswachstum in einer Welt mit begrenzten Ressourcen nicht funktionieren kann, sollte man sich mal die Wertetabelle einer Exponentialfunktion bis x=100 ausgerechnet haben. Damit man sich entschieden gegen Nazis engagieren kann, sollte man wissen, was zwischen 1933 und 1945 in Deutschland passiert ist. Damit man nicht auf Kreationisten hereinfällt, sollte man von den Mendelschen Regeln gehört haben. Damit man keinen monokausalen Erklärungen für den Klimawandel glaubt, sollte man sich mal das Absorptionsspektrum der Atmosphäre angucken. Und damit man erkennt, was die FDP für einen Quatsch erzählt, sollte man eins und eins zusammenzählen können!

In den zwei Wochen in Liberia werden wir täglich Lehrerfortbildungen anbieten und es gibt auch schon die ersten 30 Zusagen. Wilfred bespricht vorher mit den Rektoren, welche Themen wir wiederholen sollen und diese werden wir dann an 8-9 Nachmittagen und einem Wochenende behandeln. Vor allem aber will ich den Lehrern erklären, wie wichtig ihr Beruf für die Kinder, für die Zukunft ihres Landes und damit für unsere gesamte Gesellschaft ist. Ein ganz wichtiger Punkt der Lehrerfortbildungen ist nämlich auch die Wertschätzung, die die Lehrer für ihren Beruf erfahren müssen. Neben dem fachlichen und motivierenden Aspekt, will ich aber auch zeigen, dass Mathe und Physik Spaß machen kann und auch durch ganz einfache Tricks und spannende Themen die Kinder zu begeistern sind. Erinnert ihr euch z.B. noch an das Stapelproblem ( http://www.pm-magazin.de/a/die-mathematik-des-stapelns ) im 1. Semester? Oder Bartelmanns Einleitung zur Allgemeinen Relativitätstheorie, bei der man mit Newtonscher Mechanik und Einsteins beiden Axiomen schon Lichtablenkung und Rotverschiebung herleiten kann? Oder die Erklärung schwarzer Löcher über die Fluchtgeschwindigkeit der Photonen?

Jetzt ist dieser Post doch wieder länger geworden, als geplant... Aber es würde mich doch interessieren, was ihr dazu denkt. Kann man viele Probleme wirklich auf fehlende Bildung zurück führen? Oder ist das vielleicht nur die Sicht aus dem Elfenbeinturm heraus? Ist der Post vielleicht so lang geworden, weil ich mich unterbewusst doch dafür rechtfertigen will, dass ich keine Brunnen grabe? Was ist für euch das am dringendsten zu lösende Problem der Menschheit? Und wo sind die Schnapspralinen?

Mittwoch, 1. August 2012

Check!

Visum bekommen - Check!
Flug gebucht - Check!
Letzte Klausur geschrieben - Check!
Letzte Impfung bekommen - Check!

Bin jetzt erst mal 2 Wochen unterwegs und dann gibts wieder Neuigkeiten. Na Yannik, sind meine Posts immer noch zu lang?

Donnerstag, 19. Juli 2012

Liberia Calling

Liebe langjährige Leser,
aus "Tilmans Ghana Blog" wird "Tilmans Westafrika Blog"! Aber der Reihe nach: Vor zwei Jahren war ich in Ghana und habe da viele tolle Erfahrungen gemacht, neue Freunde kennen gelernt aber auch gesehen was es bedeutet, in einem Flüchtlingslager zu leben (s.u.). Unser sinnvollstes Projekt waren wohl die Lehrerfortbildungen bei denen wir über 100 Lehrer in Mathe, Physik, Lesson Planning und School Management fortbilden konnten. Das waren zwar nur 3-Tages-Fortbildungen bei denen man nicht das ganze nötige Wissen wiederholen bzw. auffrischen kann, aber für ganz viele war es eine wichtige Motivation zu sehen, dass jemand ihren Beruf wertschätzt und ihnen deutlich macht, wie elementar Bildung für eine aufgeklärte, selbstbestimmte Gesellschaft ist.
Die meisten Projekte habe ich zusammen mit Wilfred gemacht, der selbst ein liberianischer Flüchtling ist, in Accra studiert und für die Population Caring Organization gearbeitet hat. Wilfred wurde im liberianischen Bürgerkrieg von seiner Familie getrennt und hatte seit knapp 20 Jahren keinen Kontakt mehr zu ihnen. Als Wilfred die glückliche Nachricht bekommen hat, dass einige von seinen Geschwistern in Liberia leben und dass es ihnen gut geht, wollte er wieder zurück in sein Heimatland. Das Flüchtlingslager Buduburam wird sowieso z.Z. wieder aufgelöst, weshalb Wilfred dann wieder nach Liberia gegangen ist.
Aber kaum war Wilfred zurück in Liberia, wollte er seinen Landsleuten helfen und hat gleich mal ein Konzept für eine neue Hilfsorganisation („Helping Hands Network“ - 2H Net) aufgestellt. Das 2H Net soll ein klassisches Hilfe-zur-Selbsthilfe-Netzwerk mit dem Schwerpunkt auf Bildung sein, nur leider müssen Hilfsorganisationen in Liberia offiziell angemeldet sein, was neben einem großen bürokratischen Aufwand auch recht viel Geld kostet. Ich fande das Konzept des 2H Net aber so überzeugend, dass ich Wilfred dabei helfen will. Hilfe zur Selbsthilfe ist viel nachhaltiger und emanzipativer als das Spenden von Geld und schafft keine einseitigen Abhängigkeiten (ich klinge schon wie Dirk Niebel...). Außerdem ist es viel sinnvoller, wenn man lokale NGOs unterstützt, da diese genau wissen, was ihre Leute brauchen und nicht wie die UNHCR eine Feuerwehrwache in ein Flüchtlingslager ohne ausgebildete Feuerwehrleute baut und sich die Leute nebendran den Arztbesuch nicht leisten können...
Ein zentraler Punkt des 2H Net ist die Aus- und Weiterbildung von Lehrern und genau da komme ich ins Spiel. Wie die meisten von euch wissen, macht es mir unglaublich viel Spaß, Wissen zu vermitteln und ich denke auch, dass Bildung der erste wichtige Schritt hin zu einer „besseren Welt“ ist. Die Evaluation des Physik-B-Tutoriums hat mir auch wieder mal mehr gezeigt, dass ich das wohl auch ziemlich gut kann.
Als konsequenter Konsumverweigerer konsumiert man bekanntlich ja auch nicht so viel und es bleibt jede Menge Geld für sinnvolle Dinge übrig: Deshalb werde ich in den ersten beiden Oktoberwochen nach Liberia fliegen und zusammen mit Wilfred und den lokalen Hilfsorganisationen Lehrerfortbildungen durchführen. In den nächsten Wochen könnt ihr hier also lesen, wieso ich Lehrerfortbildungen für sinnvoll halte, warum der Satz des Pythagoras die Welt verbessert und was es für ein Land bedeutet, das zweitärmste Land der Welt zu sein...
So lange werde ich noch paar Klausuren und Seminare rocken, Visum beantragen, mich gegen Masern und Pest impfen lassen oder einfach den Sommer genießen.