Samstag, 29. September 2012

...unsere Antwort steht fest: Globaler Protest!

Die Vorlesungsfreiezeit ging mal wieder viel zu schnell rum und ich fühle mich noch gar nicht so, als ob ich Morgen um die Zeit im Flugzeug nach Monrovia sitze. Die Reise nach Ghana täuschte mir Routine bei der Vorbereitung von Afrikatrips vor und so kam es, dass ich gestern noch ohne Moskitonetz und Stromadapter da stand, weil ich mich einfach nicht eher drum gekümmert habe. Aber zum Glück habe ich meine Lieblings-WG und die wiederrum ein Moskitonetz. Und Wikipedia hat mir verraten, dass ich für die 220V Steckdosen in Liberia gar keinen Adapter brauche... puh!

Wilfred holt mich dann am Flughafen ab und er hat mir schon gesagt, dass ich unbedingt eine Regenjacke einpacken soll, weil die Regenzeit doch noch anhält. Aber nach meinem Bodenseetrip mit Chris lässt mich so bisschen Regen doch eher kalt – bzw. trocken.
Habe gestern auch noch Geschenke für Wilfred geholt und da kommt der Vorteil einer Touri-Stadt zum Tragen, denn den Heidelberg Kalender 2013 gab es sogar in der Bahnhofsbuchhandlung. Dann wollte ich Wilfred noch ein gutes, deutsches Vollkornbrot mitbringen und stand vor dem moralischen Dilemma, ob man containertes Brot verschenken darf. Nach kurzem Überlegen bin ich aber zu der Entscheidung gelangt, dass es kaum ein bezeichnenderes Produkt unserer Konsumgesellschaft gibt und containertes Brot somit ein typisch deutsches Mitbringsel ist. Ich stelle mir auch gerade vor, wie die ganzen Japaner in Heidelberg keine Kuckucksuhren und Messersets mehr kaufen, sondern weggeworfene Brote als typisch deutsche Andenken mitnehmen.

An dieser Stelle noch ein Dankeschön an Judith, Moritz, Cosima und Mikko, die Geld für unsere Lehrerfortbildungen gespendet haben und an das SKATING-Team der Hochschule Karlsruhe, die mir auch noch Qualitätslineale für die Lehrer mitgegeben haben. Danke!
Oder um es mit den Iries zu sagen: „Merci, Merci! Je dit merci a ma famille, je dit merci a mes amis!“ Welch gelungene Überleitung...

Heute Abend spielen die großartigen Irie Revoltes für umme in Heidelberg auf dem Uniplatz! Da werde ich mit vielen tollen Menschen den Abschluss deren Mouvement Mondial Tour nochmal richtig feiern und meine eigene kleine, zweiwöchige Mouvement Mondial Tour einleiten: https://www.youtube.com/watch?v=Fm3RO8-kf58

Die nächste Blog-Eule gibts dann aus Liberia, sobald ich da die Eulerei im Schlossturm gefunden habe.

Mittwoch, 26. September 2012

Heulst du noch oder hilfst du schon?

So langsam wirds ernst: Die Anmeldungen für unsere Lehrerfortbildungen werden immer mehr, meine Packliste wird immer länger (von leer zu Socken, Unterhosen und Sonnenschutz), die Themen für die Fortbildungen werden immer konkreter und Wilfred probiert auch schon vegane Alternativen der liberischen Nationalgerichte.

Damit wird es auch langsam mal Zeit, nicht nur über Weltpolitik, Gutmenschen und den bösen Kapitalismus zu philosophieren, sondern auch mal bisschen was über die Pläne für Liberia zu erzählen. Ich muss Sonntagmorgen schrecklich früh aufstehen und fliege dann von Frankfurt über Brüssel nach Monrovia. Montag und Dienstag müssen wir noch die ganze Bürokratie erledigen, Raummieten bezahlen, mir ne Simkarte besorgen, Material für die Fortbildungen kaufen und die Satzung für Wilfreds „Helping Hands Network" überarbeiten. Mittwoch treffen wir uns dann mit den Rektoren der High Schools, um mit denen die Inhalte zu diskutieren und entsprechend anzupassen. Ab Donnerstag geht es dann endlich los: Während der Woche werden wir nur nachmittags unterrichten können und am Wochenende nutzen wir auch den Vormittag. Ich will noch nicht zu viel über Struktur und Inhalte verraten, denn zum einen gäbe es ja dann nichts mehr zu erzählen und vielleicht ließt ja auch schon ein Lehrer mit, dem ich dann die Überraschung nehmen würde.

Ansonsten möchte ich noch eine revolutionäre These aufstellen: Menschen in Lehrberufen sollten weniger Gehalt bekommen! Man sollte nicht des Geldes wegen als Lehrer oder Dozent arbeiten, sondern weil es einem Spaß macht, weil man gerne Wissen vermittelt und weil es Lohn genug ist zu sehen, wie deine Schüler oder Studenten das erworbene Wissen selbst nutzen können.
Gerade in den letzten Tagen hatte ich mit so vielen Menschen zu tun, die diesen letzten Satz wohl nicht nachvollziehen können und darunter leidet die Lehre, wenn ein Lehrer nicht der Lehre wegen lehrt. Wie war das noch gleich mit der entfremdeten Arbeit bei Marx: „Die Arbeitstätigkeit befriedigt keine Bedürfnisse des Arbeiters, sie dient nur als Mittel, um Bedürfnisse außer ihr zu befriedigen...“ Man erklärt seinen Informatikstudenten den Heron-Algorithmus also nicht, weil man dies für sinnvoll hält, sondern weil man das neue IPhone braucht.
Ich bin mir zwar nicht sicher, ob es nach Umsetzung meines Vorschlags noch genug Menschen gibt, die dann in Lehrberufen arbeiten wollen, aber das Problem gehen wir als nächstes an ;-)

Mittwoch, 12. September 2012

Agree TO BIP OR NOT TO BIP?

Was passiert, wenn ein globalisierungskritischer Astrophysiker sich mit Wirtschftstheorie beschäftigt? Er entwickelt sein eigenes Schichtugsmodel für Gesellschaften und nachhaltige Wirtschaftsentwicklung. Aber dazu noch ein paar Vorbemerkungen...
Ich hatte ja schon irgendwo erwähnt, dass Liberia das zweitärmste Land der Welt ist. Aber was bedeutet das überhaupt, wie misst man so was und welches Land ist denn noch ärmer?
Nun, das ärmste Land der Welt ist Kongo und der hier zugrunde liegende Indikator ist das kaufkraftbereinigte Bruttoinlandsprodukt (BIP) pro Kopf. In meiner VWL-Vorlesung habe ich gelernt, dass das BIP der Marktwert aller für den Endverbrauch bestimmten Waren und Dienstleistungen, die in einem Land in einem bestimmten Zeitabschnitt hergestellt werden, ist. Es beschreibt also so etwas wie die Produktivität einer Volkswirtschaft. Die Kaufkraftbereinigung ist deshalb sinnvoll, da man sich in Liberia für $10 sehr viel mehr Big Macs kaufen kann, als man dies z.B. in den USA fürs gleiche Geld könnte. Man erstellt also einen Verbraucherpreisindex, der beschreibt, wie teuer die Lebenshaltungskosten in einem Land sind und normiert damit das BIP, damit die Werte international vergleichbarer werden.
Das kaufkrafbereinigte BIP pro Kopf ist somit aus volkswirtschaftlicher Sicht ein guter Indikator für die Produktivität eines Landes. Die ersten offensichtlichen Kritikpunkte an diesem Maß gestehen sich sogar Volkswirte selbst ein: Dieser Index missachtet unbezahlte Tätigkeiten wie Hausarbeit, Kindererziehung und Ehrenämter völlig. Außerdem entgehen ihm Schwarzarbeit und direkt getauschte oder verschenkte Waren wie z.B. bei der solidarischen Landwirtschaft oder in Umsonstläden. Aber es gibt noch weitere Kritikpunkte, denen man sich bewusst werden sollte, bevor man mit seiner Wirtschafts- und Finanzpolitik blind das BIP steigern will: Jeder Autounfall steigert das BIP, denn es muss ein neues Auto hergestellt werden, die Versicherung hat mehr zu tun und auch die Pharmaindustrie freut sich über höheren Absatz. Umweltverschmutzung und Drogenkonsum steigern das BIP, da auch hier die Umsätze im Gesundheitssystem angekurbelt werden...
Oft wird das BIP auch als Wohlstandsindikator eines Landes herangezogen: Eine wirtschaftlich starke Nation hat doch alles! Aber ganz so einfach ist es natürlich nicht. Man kann dem BIP eine gewisse Korrelation zu Wohlstandindikatoren nicht absprechen, aber in das BIP gehen keine Zahlen über die Bildung oder den Gesundheitszustand einer Gesellschaft ein. Das BIP berücksichtigt nicht Unterernährung, Umweltverschmutzung oder soziale Sicherheit. Kennedys Bruder hat dazu einmal gesagt: „Das BIP misst alles, außer dem, was das Leben lebenswert macht.“
Deshalb gibt es viele andere Indizes und Indikatoren, die auch soziale und ökologische Aspekte in die Wohlstandsdefinition aufnehmen. Der bekannteste davon ist wohl der Human Development Index (HDI), der sich aus Lebenserwartung (beinhaltet Gesundheit, Hygiene, Ernährung), Bildung und Wirtschaftsleistung zusammensetzt.
Richtig spannend (und gleichzeitig erschreckend) sind dazu die interaktiven Karten auf dieser Seite http://www.indexmundi.com/map/ und die „Verzerrte Welt“ Karten von http://www.monde-diplomatique.de/karten/ oder http://www.worldmapper.org/

Halten wir also einmal fest: Das BIP (kaufkraftbereinigt und pro Kopf) beschreibt die Produktivität einer Wirtschaft. Der HDI soll im Folgenden ein Stellvertreter für einen besseren Wohlstandsindikator sein (obwohl hier z.B. auch Umweltverschmutzung und soziale Sicherheit nicht direkt berücksichtigt werden).
Nun heißt es ja immer, dass die Schere zwischen Arm und Reich immer weiter auseinander geht und es für die unteren Schichten immer schwerer wird, zu einem gewissen Wohlstand zu gelangen. So weit sind dies auch statistisch belegbare Fakten, aber die Frage besteht nun darin, wie man diese Spaltung der Welt in arm und reich verhindern kann. Mit dem konkreten Vorgehen dabei beschäftigt sich der vorherige Post, aber ich habe mir eine Analysemethode überlegt, die angibt, ob die Entwicklung eines Landes denn in die richtige Richtung geht.

Dieser Vergleich kam mir in der Vorlesung zur stellaren Astrophysik beim Kapitel über Stabilität von Sternhüllen bzw. über das Konvektionskritierium. Dabei ist die Frage, wann eine Schichtung des Plasmas im Sterninnern stabil ist und ab welcher Bedingung an die Dichtegradienten es zu einer Durchmischung kommt. Dieses Bild der übereinander liegenden Schichten, die entweder stabil sind und kleine Störungen dieser Stabilität sofort unterdrücken oder labil übereinander liegen und eine Durchmischung von unten nach oben möglich machen, hat mich auf diese Analysemethode gebracht:
Unsere Gesellschaft kann man sich einfach gesprochen auch als geschichtet vorstellen. Unten die Armen, oben die Reichen oder eben nach aufsteigendem Wohlstand von unten nach oben. Erstrebenswert wäre eine Durchmischung dieser Schichten, so dass alle Menschen ähnliche ökonomische, ökologische und soziale Lebensbedingungen haben. Wie sieht nun aber dieses Stabilitätskriterium für unsere Gesellschaft aus? Im Sterninnern stellt man sich die Frage, wie sich die Dichte einer Blasmaplase beim Aufstieg relativ zum umgebendem Medium verändern würde. Bei meiner Analyse ist die Größe nach der abgeleitet wird also schon mal nicht die radiale Koordinate, sondern die Zeit und die zu vergleichenden Größen sind nicht die Dichte der Plasmablase und des umgebenden Mediums, sondern das BIP und der HDI.
Die Grundlegende Frage ist, ob die Bevölkerung etwas vom Wirtschaftswachstum ihres Landes abbekommt oder ob die Bevölkerung nur für die wirtschaftliche Produktivität ihres Landes herhalten muss, ohne dass ihr eigener Wohlstand steigt. Wenn die Bevölkerung etwas vom wirtschaftlichen Aufschwung ihres Landes abbekommt, hieße das, dass der HDI schneller steigen müsste als das BIP. Anderenfalls würden die Menschen der Wirtschaft dienen und dafür sorgen, dass es der Wirtschaft und nicht ihnen selbst gut geht. Aber eigentlich sollte die Wirtschaft dem Menschen dienen und deshalb lautet meine Formeln für eine nachhaltige Wirtschaftsentwicklung, die der Bevölkerung langfristigen Wohlstand ermöglicht:
[(d HDI)/dt]/HDI > [(d BIP)/dt]/BIP
oder in Worten: Das relative Wachstum des HDI muss schneller sein als das relative Wachstum des BIP.

Naja und ihr könnt es euch denken, aber meine erste Analyse ist erschreckend! Es gibt kein einziges Land, in dem dieses Kriterium erfüllt ist. Beispielhaft habe ich das mal für ein paar Länder ausgerechnet, wobei alle Änderungsraten positiv sind und ich die Werte für 2010 und 2011 genommen habe:


Relative Änderung HDI
Relative Änderung BIP
USA
0.22%
3.91%
Deutschland
0.22%
5.26%
Schweden
0.33%
6.21%
Estland
0.36%
9.93%
Sri Lanka
0.72%
10.51%
Ghana
1.48%
16.03%
Haiti
1.10%
7.84%
Simbabwe
3.19%
11.66%
Liberia
1.22%
8.66%

In diesen Ländern wächst also die Wirtschaft, ohne dass es der Bevölkerung in gleichem Maße besser geht. Jetzt mag sich manch Kritiker meiner Theorie vielleicht denken, dass es für Länder mit hohem Wohlstand schwierig ist, den Lebensstandard noch weiter zu erhöhen. Aber dann frage ich mich, warum die Wirtschaft dann noch so krass wachsen muss, wenn da doch offensichtlich niemand was davon hat?!

Das war nur ein kleiner Ausflug in die Welt der Volkswirtschaft, der neoliberalen Dogmen vom Wirtschaftswachstum und der stellaren Astrophysik. Mein Analysekriterium ist wissenschaftlich vielleicht noch nicht ganz ausgereift (und bestimmt hatte vor mir auch schon mal jemand diese Idee), aber es zeigt doch sehr deutlich, in welche Richtung sich unsere Wirtschaft entwickelt.


Natürlich möchte ich noch anmerken, dass ich mich hier nicht für Wirtschaftswachstum in irgendeiner Form ausspreche. Wir müssen langfristig natürlich zu einer Wirtschaftsform gelangen, die zu ihrem Selbsterhalt nicht immer mehr Wachstum braucht. Aber das ist eine andere Geschichte...