Samstag, 25. August 2012

Bildet euch, bildet andere, bildet Banden!


Warum gehe ich nach Liberia und organisiere da Fortbildungen für Mathe- und Physiklehrer? Warum grabe ich da keine Brunnen? Warum kaufe ich denen kein Essen? Warum nehme ich nicht ein paar afrikanische Flüchtlinge bei mir in Dossenheim auf? Warum engagiere ich mich nicht mehr gegen Waffenhandel? Warum spende ich mein Geld nicht einer Initiative zur Aufforstung des Regendwalds?

Während viele andere Hilfsmaßnahmen vor allem die Symptome und Auswirkungen von globaler Ungerechtigkeit bekämpfen, setzt Bildung bei den Ursachen an und hilft den Menschen, selbstbestimmt ihre Probleme zu lösen bzw. sich gegen die Unterdrückungsstrukturen einer neoliberalen Globalisierung wehren zu können. Aber der Reihe nach...

Wir alle sehen täglich, dass wir in einer Welt sozialer Ungleichheit leben und die meisten von uns wollen auch etwas dagegen unternehmen. Da steht man nun vor der Entscheidung, welches der vielen Probleme man zuerst bekämpfen soll... Welthunger? Rechtsextremismus? Atomkraft? Kapitalismus? Autos? Krieg? Studiengebühren? Klimawandel? Gentrifizierung? Massentierhaltung? Lobbyismus? Homophobie? Waldsterben? Oder doch die Asylpolitik der CDU?
Die meisten Menschen engagieren sich dann auch auf ihre eigene Art gegen diese Probleme, aber dabei entstehen wieder zwei neue Konflikte:
Zum einen fragt man sich natürlich, welches davon das „dringendste“ Problem unserer Gesellschaft ist und wie soll man dringend überhaupt definieren? Täglich sterben 36000 Kinder an Unterernährung, während Nazis in Deutschland täglich nur 0,02 Menschen totprügeln. Also ist Antifaschismus nicht wichtig? Oder die Langzeitfolgen als Maß der Dringlichkeit: Studiengebühren führen zu einer Zweiklassengesellschaft in der Prof. Dr. Tilman Hartwig genug Idioten findet, die für 2,50€ Stundenlohn sein Fahrrad putzen, während der Klimawandel dazu führen wird, dass Menschen ihrer Lebensgrundlage beraubt und zu Klimaflüchtlingen werden, immer mehr Tierarten aussterben, der Meeresspiegel ansteigt,... Also lieber Greenpeace statt Bildungsstreik?
Das zweite Problem ist, dass Gutmenschen die Bestrebungen anderer Gutmenschen oft schlecht reden und relativieren: „Das ist ja schon gut, aber die Bekämpfung des Bürgerkriegs in Syrien wäre wichtiger!“ Das habe ich wirklich schon so oft mitbekommen und ich muss ehrlich sein, dass ich mich auch selbst oft dabei erwische. Wenn man einen Tierrechts-Infostand macht, bekommt man gesagt, dass man sich doch erst mal um die Menschen kümmern soll, denen es auch schlecht geht. Wenn man eine Vortragsreihe zu Postwachstum veranstaltet, hört man, dass Rechtsextremismus das viel dringendere Problem sei und auf der Antinazidemo bekommt man vorgehalten, dass Speziesismus das grundlegendere Problem sei... merkt ihr was?
All diese Bestrebungen sind richtig und ein wichtiger Beitrag zu einer gerechteren Welt. Niemand muss sich dafür rechtfertigen, wenn er sich heute gerade mal nicht um die ganz großen Probleme der Welt kümmert und wie schon gesagt, was sind überhaupt die ganz großen Probleme?

Wenn man schon keine Priorisierung (die Rechtschreibkorrektur sagt „Proletarisierung“) der Weltprobleme aufstellen kann, dann kann man aber doch mal überlegen, ob es gemeinsame Ursachen für diese verschiedenen Formen der Ungerechtigkeit und Unterdrückung gibt. Ich erinnere mich da an lange Abende mit Matteo, viele Gespräche mit Chris oder ausführliche Diskussionen im Polizeigewahrsam. Der gemeinsame Nenner als Erklärung für die meisten Probleme war immer ein Mangel an Bildung!
Nicht, dass die Menschen dumm sein, sondern es ist viel eher ein Mangel an Information, fehlende Selbstreflektion, das Misskennen historischer Tatsachen oder mangelndes Wissen um sich selbst zu helfen. Bildung ist für mich auch nicht das Auswendiglernen von Daten und Fakten sondern eher Hilfe zur Selbsthilfe.
Ich gebe zu, dass ich ein sehr optimistisches Menschenbild zu Grunde lege, denn Bildung führt bei einzelnen Menschen nicht unbedingt zu ethischem Handeln. Ich bin mir aber sicher, dass eine selbstreflektierte, aufgeklärte Gesellschaft anders mit den Problemen umgehen würde und emanzipatorische Lösungen finden kann.

Das Ideal der Bildung sollte es sein, Menschen zu kritischem Denken und selbstreflektiertem Handeln zu erziehen, aber wie schafft man das? Ich kann ja niemandem kritisch vordenken und hoffen, dass er mir nachdenkt. Und spätestens in dem Moment, wo ich als Lehrer kurz vor dem Erfolg stehe, wird mein Schüler vielleicht nicht mehr auf mich hören, meine Autorität anzweifeln und aus Protest wieder unkritisch denken...

Man kann die Maxime der Bildung also nicht direkt erreichen, sondern muss über den Umweg der Allgemeinbildung, das Stärken der musischen Fähigkeiten, die Förderung der Kreativität und die Schulung des logischen Denkens sich dem Humboldtschen Bildungsideal nähern:
Damit man akzeptiert, dass die Erde keine Scheibe ist, sollte man mal in einen Atlas geguckt haben. Damit man erkennen kann, dass unbegrenztes Wirtschaftswachstum in einer Welt mit begrenzten Ressourcen nicht funktionieren kann, sollte man sich mal die Wertetabelle einer Exponentialfunktion bis x=100 ausgerechnet haben. Damit man sich entschieden gegen Nazis engagieren kann, sollte man wissen, was zwischen 1933 und 1945 in Deutschland passiert ist. Damit man nicht auf Kreationisten hereinfällt, sollte man von den Mendelschen Regeln gehört haben. Damit man keinen monokausalen Erklärungen für den Klimawandel glaubt, sollte man sich mal das Absorptionsspektrum der Atmosphäre angucken. Und damit man erkennt, was die FDP für einen Quatsch erzählt, sollte man eins und eins zusammenzählen können!

In den zwei Wochen in Liberia werden wir täglich Lehrerfortbildungen anbieten und es gibt auch schon die ersten 30 Zusagen. Wilfred bespricht vorher mit den Rektoren, welche Themen wir wiederholen sollen und diese werden wir dann an 8-9 Nachmittagen und einem Wochenende behandeln. Vor allem aber will ich den Lehrern erklären, wie wichtig ihr Beruf für die Kinder, für die Zukunft ihres Landes und damit für unsere gesamte Gesellschaft ist. Ein ganz wichtiger Punkt der Lehrerfortbildungen ist nämlich auch die Wertschätzung, die die Lehrer für ihren Beruf erfahren müssen. Neben dem fachlichen und motivierenden Aspekt, will ich aber auch zeigen, dass Mathe und Physik Spaß machen kann und auch durch ganz einfache Tricks und spannende Themen die Kinder zu begeistern sind. Erinnert ihr euch z.B. noch an das Stapelproblem ( http://www.pm-magazin.de/a/die-mathematik-des-stapelns ) im 1. Semester? Oder Bartelmanns Einleitung zur Allgemeinen Relativitätstheorie, bei der man mit Newtonscher Mechanik und Einsteins beiden Axiomen schon Lichtablenkung und Rotverschiebung herleiten kann? Oder die Erklärung schwarzer Löcher über die Fluchtgeschwindigkeit der Photonen?

Jetzt ist dieser Post doch wieder länger geworden, als geplant... Aber es würde mich doch interessieren, was ihr dazu denkt. Kann man viele Probleme wirklich auf fehlende Bildung zurück führen? Oder ist das vielleicht nur die Sicht aus dem Elfenbeinturm heraus? Ist der Post vielleicht so lang geworden, weil ich mich unterbewusst doch dafür rechtfertigen will, dass ich keine Brunnen grabe? Was ist für euch das am dringendsten zu lösende Problem der Menschheit? Und wo sind die Schnapspralinen?

Mittwoch, 1. August 2012

Check!

Visum bekommen - Check!
Flug gebucht - Check!
Letzte Klausur geschrieben - Check!
Letzte Impfung bekommen - Check!

Bin jetzt erst mal 2 Wochen unterwegs und dann gibts wieder Neuigkeiten. Na Yannik, sind meine Posts immer noch zu lang?