Donnerstag, 21. November 2013

Von der Wissens- zur Dissensgesellschaft


Oder wie es das Känguru formuliert hat: „Die dringlichste Frage, die wir uns als Antiterrororganisation heute stellen müssen, lautet: Wie bringt man die Leute vom Wissen über die Zustände zum Nichteinverstandensein mit den Zuständen?“.
Dieses Problem ist mir z.B. erst letztens bei Extra 3 wieder klar geworden. Da hat sich Tobi Schlegl auf den Markt gestellt und Klamotten verkauft wobei sein Konzept „billig und transparent“ war. Er hat die Menschen darüber aufgeklärt, dass die Nähte so fein sein, weil Kinderhände das genäht haben, dass manche Teile Brandflecken haben, weil eine der Fabriken erst letztens abgebrannt ist und dass die Arbeiter*innen da 16h pro Tag für einen Hungerlohn arbeiten müssen. Aber es war eben spottbillig! Ihr könnt es euch schon denken, aber die Leute haben zugeschlagen, als gäbs kein Morgen mehr und auf bitten von Tobi Schlegl haben sie sogar noch für die Kinder in Bangladesch in die Kamera gewunken...
Aber das gibt ja auch in vielen anderen Situationen: Wir wissen wie es Tieren in Massentierhaltung ergeht und nehmen dies trotzdem billigend in Kauf. Wir wissen, dass die Privatbanken für ihren Profit über Leichen gehen und sehen darin doch kein Problem. Wir wissen, dass Frontex Flüchtlinge auf dem Mittelmeer zurück drängt und nehmen Meldungen von gekenterten Flüchtlingsbooten nur schulterzuckend zur Kenntnis. Wir wissen, dass unbegrenztes Wirtschaftswachstum in einer Welt mit begrenzten Ressourcen nicht möglich ist und hören doch auf die „Wirtschaftsweisen“. Wir wissen, dass wir schuld am Klimawandel sind und interessieren uns nicht mal für die neuesten Prognosen. Wir wissen, dass Deutschland drittgrößter Waffenexporteur ist und stören uns nicht daran.
Manchmal werden diese Probleme auch kleingeredet und es wird behauptet, dass es uns so gut wie nie zuvor gehen würde, ohne dabei zu beachten, dass diese „Wohlstandsindikatoren“ wie z.B. das BIP selbstreferenzierende Größen innerhalb des Wirtschaftssystems sind. Ich würde nicht behaupten, dass ich ein sonderlich pessimistischer Mensch bin und ich will auch gar keine Probleme sehen, wo es keine gibt. Was ich sehe ist jedoch, dass sich die meisten globalen Probleme (Hunger, Aufrüstung, Klimawandel, Flüchtlinge, Armut, Müll, Ausbeutung,...) gerade verschlimmern und irgendwann werden weder spitzfindige Wissenschaftler, noch mutige Politiker, noch der bisher ziemlich einfallsreiche Kapitalismus in der Lage sein, diese Probleme zu lösen.
Manchmal komme ich mir schon wie ein esoterischer „The end is near“-Prediger vor, aber dann mache ich mir klar, dass mehrere Organe der UNO, Martin Sonneborn, unzählige Umwelt-, Menschenrechts- und Friedensinitiativen oder der Club of Rome genau die gleichen Probleme sehen und mehr oder weniger erfolgreich lösen wollen.
Aber warum nimmt ein Großteil der Menschen diese Ungerechtigkeiten einfach so hin? Sind wir schon so abgestumpft, dass wir diese Infos und Meldungen nicht mehr wahrnehmen? Verdrängen wir das bewusst oder unbewusst? Reden wir uns entschuldigend ein, an den Zuständen ja doch nichts ändern zu können? Sehen wir die Probleme nicht, weil wir mit Fast Food und Bundesliga ruhig gestellt werden? Oder ist es die „Scham über die Teilhabe am universellen Unrecht, die übermächtig würde, sobald man zu verstehen sich gestattete“? Also ernsthaft, wenn hier jemand Psychologie, Soziologie oder Astrologie studiert und eine Antwort auf diese Frage hat, dann bitte her damit.
Bis wir wissen, wie wir von der Wissens- zur Dissensgesellschaft kommen, sollten wir jedoch dafür sorgen, dass möglichst viele Menschen überhaupt erst mal Zugang zur Wissensgesellschaft haben.

1 Kommentar:

  1. Guter Artikel!
    Übrigens: Wirtschaft ist zunächst nichts schlechtes, Raubtier-Wirtschaft (oft in der Finanz-Wirtschaft zu finden) hingegen schon.

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