Liebe LeserInnen,
da ich jeden Tag so viel erlebe und
neue Dinge erfahre oder erkenne, die ich euch mitteilen will und ich
bei einer chronologischen Erzählung die Hälfte aller Anekdoten
vergesse, habe ich mir was neues überlegt. Da ich hier gerade „Das
Labyrinth der Träumenden Bücher“ des zamonischen Bestsellerautors
Hildegunst von Mythenmetz lese, möchte ich mich auch dessen
Stilmittel bedienen – der Mythenmetzschen Abschweifungen:
A Propos Träumen... Kennt ihr das,
wenn ihr mehrere Tage in einem fremdsprachigen Land seid und dann auf
einmal anfangt in dieser Sprache zu denken und zu träumen? Besonders
befremdlich wirkt das, wenn man sich beim Englischdenken dabei
erwischt, wie man gerade nach einem Wort sucht. Mein „Traumenglisch“
hingegen ist traumhaft und das witzige ist, dass alle Dialoge im Traum
auf Englisch sind – da kann dann sogar mein Papa gutes Englisch
sprechen ;-)
Während mir im Flüchtlingslager in
Buduburam fast die ganze Zeit „O'Bruni“ (was so viel wie „weißer
Mann“ bedeutet) hinterher gerufen wurde, werde ich hier kaum auf
Grund meiner Hautfarbe angesprochen. Ein paar Kinder schauen mich
länger als normal an und ein paar Halbstarke bringen doch mal
irgendeinen Spruch, aber ansonsten ist man meistens einfach ihr
„brother“. Auf dem Weg nach Hause haben uns Freitag paar Kerle
hinterher gerufen. Ich habe es nicht genau verstanden, aber es muss
was mit meiner Hautfarbe zu tun gehabt haben. Auf jeden Fall hat
Shirley denen dann eine flammende Rede gegen Rassismus und
Fremdenfeindlichkeit gehalten. Ich habe zwar nicht alles verstanden,
aber es klang sehr überzeugend!
Freitag haben wir quadratische
Gleichungen behandelt, da diese ständig in allen möglichen
Naturwissenschaften auftauchen. Die meisten kannten auch die
Mitternachtsformel, aber einige dachten, dass diese Formel auf
Emperie beruht und halt einfach immer irgendwie das richtige
rauskommt. Denen habe ich erst mal das Gegenteil – im warsten Sinne
des Wortes – bewiesen. Die Herleitung der Mitternachtsformel füllt
zwar nicht dirket ihre Mägen oder bringt Frieden, aber es hat ihnen
heute doch hoffentlich kritisches Denken näher gebracht und gezeigt,
dass man auch mathematische Formeln nicht einfach hinnehmen muss. Mir
geht es dabei auch nicht um die formale Strenge der Herleitung,
sondern um das Konzept des Hinterfragens. Ich hoffe, dass ich dabei
nicht wie so ein alter, engstirniger Mathelehrer klinge, aber Samstag
werden wir dann auch ganz anschaulich und in Gruppenarbeit das
Verhältnis von Umfang zu Durchmesser eines Kreis erarbeiten.
Über das Essen habe ich noch nicht so
viel geschrieben, aber es gibt auch nicht viel zu berichten, außer
dass es total einfach und gleichzeitig super lecker ist! Wilfreds
Familie kocht für mich extra vegan und es gab bisher schon Plantain,
Spaghetti, Kartoffeln, Kürbis, Reis, Groundnut Souce, Kekse, Kasawa
Leafs,... und dazu jede Menge Obst! Es ist wirklich toll, wie
vielfältig die vegane, liberianische Küche ist :-) Sonntag will mir
Wilfreds Mutter dann das typische liberianische Nationalgericht
zeigen.
Krieg, warum nicht? Der liberianische
Bürgerkreig hat viele Gründe und Ursachen, die teilweise auch schon
mehrere hundert Jahre zurück liegen. So ganz blicke ich bei der
Erklärungen auch noch nicht durch, aber Wilfreds Familie hat mir
eine neue Erklärung gegeben. Auch dabei habe ich nicht alles
verstanden, aber es beruhte auf einem halbgöttlichen Mädchen, das
einen bösen Stammesfürsten vertrieben und dann ihre Herrschaft auf
irgendeinem Berg verkündet hat, auf dem später ganz viele Menschen
gestorben sind, weshalb der Berg dann ein teuflisches Sybol war und
um diese Deutungshoheit ist dann der Bürgerkrieg entbrannt. Oder so.
Auf jeden Fall fande ich es spannend, wie die Leute doch irgendwelche
halb-abergläubischen Erklärungen für den Bürgerkrieg haben und
dabei die historischen Tatsachen gerne auch mal verdrehen. Aber so
ähnlich hatte ich das ja auch schon in Ghana erlebt.
Jammern auf hohem Niveau: Bei den
Protesten gegen Schavans G8-Reform oder beim Bildungsstreik der
letzten Jahre haben wir in Deutschland für bessere Bildung
demonstriert. Mit der relativierten Sicht aus Liberia wirkt das aber
ein wenig... lächerlich. Natürlich ist unser Bildungssystem
ungerecht, es wird viel zu früh selektiert, die Klassen sind zu
groß, der Lehrerberuf erfährt zu wenig Wertschätzung, es gibt zu
wenig Kita-Plätze, das finanzielle Situation der Eltern entscheidet
über Bildungserfolg und Studiengebühren gehören... abgeschafft!
Aber vergleichen mit Liberia sind das alles im wahrsten Sinne des
Wortes „First World Problems“. Hier haben viele Familien nicht
mal ne Uhr, so dass die Schüler pünktlich sein können, die Lehrer
haben keine richtige Ausbildung und sind so unterbzahlt, dass sie
sich kaum genug Essen kaufen können, die Schulgebühren sind zu hoch
(von den Millenium-Zielen sind wir noch weit, weit entfernt...), in
den Klassenzimmern ist es so dunkel, dass man kaum die Tafel sieht
und so heiß, dass man sich nicht konzentrieren kann. Heute hatten
wir auch so nen typischen tropischen Regenschauer und die Tropfen
prasselten so laut aufs Dach, dass man sein eigenes Wort nicht
verstand... und das 30 Minuten lang!
Ich bin auch bei der nächsten
Rektorratsbesetzung in Heidelberg dabei, aber wichtiger wäre es, das
Verteidigungsministerium so lange zu besetzen, bis mehr Geld vom
Militäretat in den Aufbau des Bildungssystems der 3. Welt fließt!
Naja, immerhin haben die hier auch „giftfreie“ Kreide ;-)
Das Internet ist hier übrigens
soooooooo langsam, dass ich ständig an die Maus-Folge denken muss,
in der die das (...und die Sesamstraße auch gleich noch
untergebracht^^) Internet mit kleinen Männchen erklärt haben, die
durch die Leitungen laufen und Datenpakete abliefern. Hier ist man
wirklich froh um jedes Byte, das auf dem Computer angekommt und
manchaml sitzt man 30 Minutem vorm Laptop und es tut sich gar nichts!
Also nicht wundern, wenn ich mal nicht gleich auf Mails antworte oder
länger brauche für den nächsten Post.
Sonntag haben wir eine Ganztagestour
durch Monrovia und die ganze Gegend gemacht. Ich könnte eigentlich
den ganzen Tag hinten auf nem Motorrad sitzen und mir die Gegend hier
angucken! Wir waren bei der Universität, am Hafen, am Strand, in der
Innenstadt, beim Parlament,... Irgendwann habe ich dann festgestellt, dass
mein Handy nicht mehr in der Hosentasche ist. Vielleicht hatte ich es
ja nur verloren und ein erhlicher Finder wird es uns zurück geben.
Also hat Wilfred versucht, jemanden zu erreichen und nach ein paar
Versuchen ist sogar wirklich jemand ran gegangen. Wir haben dann
einen Treffpunkt und Finderlohn mit denen ausgemacht und sie kamen
dann auch und hatten mein Handy dabei. Wir waren uns aber nicht ganz
sicher, ob sie das Handy wirklich gefunden haben, oder es mir aus der
Hosentasche geklaut haben, zumal sie auch ständig einen höheren
Finderlohn gefordert haben. Wir hatten dann auch keine Lust auf
weitere Diskussionen oder Stress mit der Polizei und haben denen dann
einfach $20 gegeben. Entweder waren es wirklich ehrliche Finder oder
ziemlich blöde Diebe!
Den (verhinderten) Naziaufmarsch in
Heidelberg habe ich übrigens zum Anlass genommen, ein kleines
Gedicht zu verfassen:
In diesem Gedicht artikuliere ich meine
Wut,
denn Nazis
find ich nicht so gut!
PS: Falls euch meine Tagesangaben wie
heute, morgen oder am Sanktnimmerleinstag irritieren oder sich gar
widersprechen, könnte das daran liegen, dass ich die Posts teilweise
über mehrere Tage schreibe und online stelle, wenn ich das nächste
Mal im Internet bin. Seit vorgestern versuche ich deshalb auch
absolute und keine relativen Tagesangaben zu verwenden ;-)