Montag, 8. Oktober 2012

Mythenmetzsche Abschweifungen

Liebe LeserInnen,
da ich jeden Tag so viel erlebe und neue Dinge erfahre oder erkenne, die ich euch mitteilen will und ich bei einer chronologischen Erzählung die Hälfte aller Anekdoten vergesse, habe ich mir was neues überlegt. Da ich hier gerade „Das Labyrinth der Träumenden Bücher“ des zamonischen Bestsellerautors Hildegunst von Mythenmetz lese, möchte ich mich auch dessen Stilmittel bedienen – der Mythenmetzschen Abschweifungen:

A Propos Träumen... Kennt ihr das, wenn ihr mehrere Tage in einem fremdsprachigen Land seid und dann auf einmal anfangt in dieser Sprache zu denken und zu träumen? Besonders befremdlich wirkt das, wenn man sich beim Englischdenken dabei erwischt, wie man gerade nach einem Wort sucht. Mein „Traumenglisch“ hingegen ist traumhaft und das witzige ist, dass alle Dialoge im Traum auf Englisch sind – da kann dann sogar mein Papa gutes Englisch sprechen ;-)

Während mir im Flüchtlingslager in Buduburam fast die ganze Zeit „O'Bruni“ (was so viel wie „weißer Mann“ bedeutet) hinterher gerufen wurde, werde ich hier kaum auf Grund meiner Hautfarbe angesprochen. Ein paar Kinder schauen mich länger als normal an und ein paar Halbstarke bringen doch mal irgendeinen Spruch, aber ansonsten ist man meistens einfach ihr „brother“. Auf dem Weg nach Hause haben uns Freitag paar Kerle hinterher gerufen. Ich habe es nicht genau verstanden, aber es muss was mit meiner Hautfarbe zu tun gehabt haben. Auf jeden Fall hat Shirley denen dann eine flammende Rede gegen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit gehalten. Ich habe zwar nicht alles verstanden, aber es klang sehr überzeugend!

Freitag haben wir quadratische Gleichungen behandelt, da diese ständig in allen möglichen Naturwissenschaften auftauchen. Die meisten kannten auch die Mitternachtsformel, aber einige dachten, dass diese Formel auf Emperie beruht und halt einfach immer irgendwie das richtige rauskommt. Denen habe ich erst mal das Gegenteil – im warsten Sinne des Wortes – bewiesen. Die Herleitung der Mitternachtsformel füllt zwar nicht dirket ihre Mägen oder bringt Frieden, aber es hat ihnen heute doch hoffentlich kritisches Denken näher gebracht und gezeigt, dass man auch mathematische Formeln nicht einfach hinnehmen muss. Mir geht es dabei auch nicht um die formale Strenge der Herleitung, sondern um das Konzept des Hinterfragens. Ich hoffe, dass ich dabei nicht wie so ein alter, engstirniger Mathelehrer klinge, aber Samstag werden wir dann auch ganz anschaulich und in Gruppenarbeit das Verhältnis von Umfang zu Durchmesser eines Kreis erarbeiten.

Über das Essen habe ich noch nicht so viel geschrieben, aber es gibt auch nicht viel zu berichten, außer dass es total einfach und gleichzeitig super lecker ist! Wilfreds Familie kocht für mich extra vegan und es gab bisher schon Plantain, Spaghetti, Kartoffeln, Kürbis, Reis, Groundnut Souce, Kekse, Kasawa Leafs,... und dazu jede Menge Obst! Es ist wirklich toll, wie vielfältig die vegane, liberianische Küche ist :-) Sonntag will mir Wilfreds Mutter dann das typische liberianische Nationalgericht zeigen.

Krieg, warum nicht? Der liberianische Bürgerkreig hat viele Gründe und Ursachen, die teilweise auch schon mehrere hundert Jahre zurück liegen. So ganz blicke ich bei der Erklärungen auch noch nicht durch, aber Wilfreds Familie hat mir eine neue Erklärung gegeben. Auch dabei habe ich nicht alles verstanden, aber es beruhte auf einem halbgöttlichen Mädchen, das einen bösen Stammesfürsten vertrieben und dann ihre Herrschaft auf irgendeinem Berg verkündet hat, auf dem später ganz viele Menschen gestorben sind, weshalb der Berg dann ein teuflisches Sybol war und um diese Deutungshoheit ist dann der Bürgerkrieg entbrannt. Oder so. Auf jeden Fall fande ich es spannend, wie die Leute doch irgendwelche halb-abergläubischen Erklärungen für den Bürgerkrieg haben und dabei die historischen Tatsachen gerne auch mal verdrehen. Aber so ähnlich hatte ich das ja auch schon in Ghana erlebt.

Jammern auf hohem Niveau: Bei den Protesten gegen Schavans G8-Reform oder beim Bildungsstreik der letzten Jahre haben wir in Deutschland für bessere Bildung demonstriert. Mit der relativierten Sicht aus Liberia wirkt das aber ein wenig... lächerlich. Natürlich ist unser Bildungssystem ungerecht, es wird viel zu früh selektiert, die Klassen sind zu groß, der Lehrerberuf erfährt zu wenig Wertschätzung, es gibt zu wenig Kita-Plätze, das finanzielle Situation der Eltern entscheidet über Bildungserfolg und Studiengebühren gehören... abgeschafft! Aber vergleichen mit Liberia sind das alles im wahrsten Sinne des Wortes „First World Problems“. Hier haben viele Familien nicht mal ne Uhr, so dass die Schüler pünktlich sein können, die Lehrer haben keine richtige Ausbildung und sind so unterbzahlt, dass sie sich kaum genug Essen kaufen können, die Schulgebühren sind zu hoch (von den Millenium-Zielen sind wir noch weit, weit entfernt...), in den Klassenzimmern ist es so dunkel, dass man kaum die Tafel sieht und so heiß, dass man sich nicht konzentrieren kann. Heute hatten wir auch so nen typischen tropischen Regenschauer und die Tropfen prasselten so laut aufs Dach, dass man sein eigenes Wort nicht verstand... und das 30 Minuten lang!
Ich bin auch bei der nächsten Rektorratsbesetzung in Heidelberg dabei, aber wichtiger wäre es, das Verteidigungsministerium so lange zu besetzen, bis mehr Geld vom Militäretat in den Aufbau des Bildungssystems der 3. Welt fließt! Naja, immerhin haben die hier auch „giftfreie“ Kreide ;-)

Das Internet ist hier übrigens soooooooo langsam, dass ich ständig an die Maus-Folge denken muss, in der die das (...und die Sesamstraße auch gleich noch untergebracht^^) Internet mit kleinen Männchen erklärt haben, die durch die Leitungen laufen und Datenpakete abliefern. Hier ist man wirklich froh um jedes Byte, das auf dem Computer angekommt und manchaml sitzt man 30 Minutem vorm Laptop und es tut sich gar nichts! Also nicht wundern, wenn ich mal nicht gleich auf Mails antworte oder länger brauche für den nächsten Post.

Sonntag haben wir eine Ganztagestour durch Monrovia und die ganze Gegend gemacht. Ich könnte eigentlich den ganzen Tag hinten auf nem Motorrad sitzen und mir die Gegend hier angucken! Wir waren bei der Universität, am Hafen, am Strand, in der Innenstadt, beim Parlament,... Irgendwann habe ich dann festgestellt, dass mein Handy nicht mehr in der Hosentasche ist. Vielleicht hatte ich es ja nur verloren und ein erhlicher Finder wird es uns zurück geben. Also hat Wilfred versucht, jemanden zu erreichen und nach ein paar Versuchen ist sogar wirklich jemand ran gegangen. Wir haben dann einen Treffpunkt und Finderlohn mit denen ausgemacht und sie kamen dann auch und hatten mein Handy dabei. Wir waren uns aber nicht ganz sicher, ob sie das Handy wirklich gefunden haben, oder es mir aus der Hosentasche geklaut haben, zumal sie auch ständig einen höheren Finderlohn gefordert haben. Wir hatten dann auch keine Lust auf weitere Diskussionen oder Stress mit der Polizei und haben denen dann einfach $20 gegeben. Entweder waren es wirklich ehrliche Finder oder ziemlich blöde Diebe!

Den (verhinderten) Naziaufmarsch in Heidelberg habe ich übrigens zum Anlass genommen, ein kleines Gedicht zu verfassen:
In diesem Gedicht artikuliere ich meine Wut,
denn Nazis
find ich nicht so gut!


PS: Falls euch meine Tagesangaben wie heute, morgen oder am Sanktnimmerleinstag irritieren oder sich gar widersprechen, könnte das daran liegen, dass ich die Posts teilweise über mehrere Tage schreibe und online stelle, wenn ich das nächste Mal im Internet bin. Seit vorgestern versuche ich deshalb auch absolute und keine relativen Tagesangaben zu verwenden ;-)

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen