Donnerstag, 23. September 2010

Da warens nur noch 7...

Mal wieder gelingt es mir, mit meinem Titel den Nagel auf den Punkt zu bringen! Die offensichtliche Bedeutung des Titels liegt darin, dass ich in genau 7 Tagen durch die Sicherheitskontrolle am Flughafen gehe und mir die Kokosnüsse im Handgepäck abgenommen werden, weil die Kokosmilch darin nicht in einem durchsichtigen Plastikbeutel verpackt ist... So oder so ähnlich, aber meine letzte Woche ist angebrochen und es ist wirklich komisch, denn während die Zeit am Anfang manchmal sehr langsam vergangen ist, vergehen die Tage jetzt so schnell und es gibt noch so vieles zu tun, noch so viele Leute zu treffen und noch so viele Dinge einzukaufen.

Um euch die andere Bedeutung des Titels zu erklären, muss ich etwas weiter ausholen:
Ein großes Problem unserer Schule ist, dass wir die Lehrer nicht regelmäßig bezahlen können, weil die Einnahmen einer kleinen NGO nunmal sehr unregelmäßig sind. Das ist aber ein Problem für beide Seiten, denn die Lehrer verlieren das Vertrauen in die Organisation und arbeiten natürlich nicht so motiviert, wenn sie seit 3 Monaten kein Gehalt mehr bekommen haben, was wiederrum ein Problem für PCO ist. Deshalb hat sich die Organisation dazu entschieden, dass wir die Zahl der Lehrer von 10 auf 7 reduzieren. Wir haben also alle Lehrer unsere Schule (und von außerhalb) aufgefordert sich nochmals zu bewerben und wir haben in den letzten beiden Tagen Bewerbungsgespräche durchgeführt.
Wir haben die Bewerbungsgespräche auch gut vorbereitet, wichtige Fragen aufgeschrieben, einen Bewertungsbogen erarbeitet und die Lehrer eingeladen. Ich habe mich da richtig drauf gefreut, weil man dann mal auf der anderen Seite des Bewerbungsgesprächs sitzt und ich habe auch ein nicht kleines Mitspracherecht (vor allem was die fachlichen Qualifikationen angeht). Wir haben letztendlich 8 Bewerbungen erhalten und da wurde mir so langsam klar, dass das für einen Lehrer schlecht ausgeht.
Die Bewerbungsschreiben selbst waren haarsträubend! Wir haben darum gebeten, die Bewerbungen mit PC zu schreiben und haben 8 handgeschriebene Bewerbungen erhalten. Es gab darin so offensichtliche Rechtschreibfehler, dass diese sogar meinem englischen Sprachgefühl geschmerzt haben. Einige Bewerbungen waren auf Doppelseiten geschrieben, die vorher aus einem Heft rausgerissen wurden. Auf 3 Bewerbungen stand nicht mal der Name oder Kontakt des Bewerbers und von Form und Aufbau müssen wir erst gar nicht reden. Ich kann ja auch keine guten Bewerbungen schreiben und hatte in meiner Bewerbung bei SAP sogar einen Rechtschreibfehler ("Heidleberg"), aber das hier ist noch um einiges schlimmer.
Die Bewerbungsgespräche selbst waren interessant, weil die Lehrer dann eben von ihrer Ausbildung erzählt haben und viele durch den Krieg in Liberia vertrieben wurden bzw. ihre Ausbildung abbrechen mussten. Eine Lehrerin hat dann erzählt, dass sie im Bürgerkrieg ihren Mann verloren hat, mit ihren 5 Kindern ins Flüchtlingslager gekommen ist und jetzt als Lehrerin arbeiten will, um etwas Geld für ihre Kinder zu verdienen. Solche persönlichen Schicksale gibt es hier viele und dabei wurde mir dann so richtig klar, dass es unmöglich werden wird, sich für sieben und gegen einen Lehrer zu entscheiden. "Geld verdienen" ist halt die schlechteste Motivation um einen Lehrer einzustelen, aber vor dem persönlichen Hintergrund ist das wirklich schwer. Mein Gewissen beruhigt zur Zeit nur, dass die letztendliche Entscheidung nicht bei mir liegt und auch noch nicht gefallen ist. Außerdem weiß ich jetzt, dass ich später niemals einen Beruf mit solchen Personalentscheidungen haben möchte, weil sich die wirtschaftlichen Interessen des "Unternehmens" meistens nicht mit den Hoffnungen der Bewerber vereinbaren lassen.
Ansonsten noch einige Antworten aus den Bewerbungsgesprächen: Einer der Geschichtslehrer dachte, dass der 2. Weltkrieg im 19. Jhdt war (und ihm war klar, dass das 1800irgendwas bedeutet). Ein Religionslehrer sollte Parallelen zwischen Christentum und Islam ziehen und hat dann gesagt, dass Jesus im Islam Mohamed genannt wird. Ein Englischlehrer hat noch nie was vom Futur gehört und konnte entsprechend auch nicht den Unterschied zwischen going-to-future und will-future erklären. Ein Mathelehrer hat behauptet, dass Pi genau 3 ist...

Jetzt ist der Post schon wieder so lang, aber eine Geschichte verkraftet ihr noch:
Auf dem Weg zur Schule ist mir am Mittwoch eine feiernde Gemeinde von so ca. 50 Leuten entgegen gekommen. Sie hatten ein Bild von einem jungen Mädchen dabei und ich dachte zuerst, es sei ein Geburtstag oder eine Art ghanaisch/liberianischer Junggesellenabschied, zumal es von der Ausgelassenheit und Kontaktscheue sehr an einen Heidelberger Junggesellenabschied erinnert hat: Die Leute sind singend durch das Camp gelaufen, haben mit Passanten getanzt (auch mit mir) und vor allen Dingen hatten sie blaue Farbe dabei. Sie selbst waren schon überall blau und ich war natürlich ein tolles Opfer zum Anmalen... Das war ja eingeltich ganz witzig, aber ich war leider gerade auf dem Weg zu den Vorstellungsgesprächen und musste mich davor erst nochmal waschen. Als ich so blau durch das Camp gelaufen bin, haben mich natürlich viele Leute darauf angesprochen und eine Bekannte hat mir dann erklärt, dass das eine Beerdigung war! Das fande ich dann wirklich komisch, weil ich halt nur europäische Beerdigungen kenne und sich bei dieser Party wirklich jeder gefreut hat und gut gelaunt war. Vielleicht ist das ihre Art mit dem Schmerz umzugehen oder vielleicht ist das ihre Art der Verstorbenen Respekt zu zollen, aber auf jeden Fall gehören solche Beerdigungen (wie ich später erfahren habe) zu deren Kultur und laufen immer so ab. Also bei meiner Beerdigung bitte traurig sein, "Imagine" von John Lennon spielen und bloß keine blaue Farbe!

Das Wochenende über werde ich beschäftigt sein und nicht zum Bloggen kommen, aber nächste Woche gibt es dann noch einen Post aus Afrika - versprochen.

3 Kommentare:

  1. Aber Tilli! Pi ist doch genau 3

    naja aber von Beerdigungen mal zu einem positvien Ereignis. Die Kassierer haben ein neues Album und dich als Physiker wird dies besonderes interessieren, da der Titel "Physik" lautet. Dem entsprechend intelektuell sind auch die Titel und die wissenschaftlichen Einwürfe. Mit diesen Nachrichten konnte ich hoffentlich dein Heimweh ein bisschen verstärken, damit es dir leichter fällt, in 7 Tagen die Heimreise anzutreten.

    In diesem Sinne wünsch ich dir viel Sex mit dem Sozialarbeiter!

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  2. Du hast ja behauptet auf dem Markt in Accra (oder so) gäbe es alles. Dann wird es ja wohl kein Problem sein, dass du mir ein Menschenkatapult mitbringst. Danke.

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  3. @ Yannik: Hast du das Album etwa schon? Dann brennst du mir das bitte mal auf CD und ich tausche es gegen ein Souvenir deiner Wahl. Vielleicht ein Menschenkatapult?

    @ Paulo: Klar gibt es auf dem Makola Market Menschenkatapulte - in jeder Form und Größe! Wie viele brauchst du denn und welche Farbe hättest du gerne? Wobei sie aus Wien und per Postversand natürlich "originaler" wären, als aus Accra per Tilman und dann nicht mal ins Westfälische Land.

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